So prächtig

Anregungen von der Stuttgarter Gartenschau

13.07.2016

Für den neuen Busbahnhof in Tübingen hatte man 1960 einen Teil des Anlagenparks geopfert. Man war sich aber einig, dass Grün in der Stadt wichtig ist. Archivbild: Göhner

Für den neuen Busbahnhof in Tübingen hatte man 1960 einen Teil des Anlagenparks geopfert. Man war sich aber einig, dass Grün in der Stadt wichtig ist. Archivbild: Göhner

Oberbürgermeister Gmelin, Bürgermeister Doege, Stadtbaudirektor Jäger, Direktor Appel, die Stadtbauräte Scheer und Beicher sowie der gesamte Gemeinderat der Stadt Tübingen machten sich vor genau 55 Jahren am 13. Juli 1961 einen besonders schönen Tag: Die Herren und Damen reisten nach Stuttgart zur Bundesgartenschau. Man ließ sich von Gartenbauoberinspektor Zais durch die neu gestalteten Schlossgartenanlagen führen, gönnte sich eine ausgelassene Rutschpartie auf dem Kinderspielplatz des Weißenhofer Parkgeländes, verbrachte ein paar besinnliche Momente auf dem Hoppenlau-Friedhof, ließ sich im offenen Wagen über den Killesberg kutschieren, speiste im Parkrestaurant und beendete den trotz einiger Regenschauer rundum gelungenen Ausflug bei einem Dämmerschoppen in der Böblinger „Sonne“.

Nur dem Vergnügen diente dieses Vergnügen jedoch nicht. 1960 hatte man den neuen Omnibusbahnhof angelegt und dafür einen Teil des Parks am Anlagensee geopfert. Die Universität plante eine Verlegung des Botanischen Gartens. Seit 1950 fanden die meisten Tübingerinnen und Tübinger auf dem Bergfriedhof ihre letzte Ruhestätte. Auf dem Horemer und der Ochsenweide sollten in den kommenden Jahren neue Wohngebiete entstehen: Die Anlage und Neugestaltung von Grünanlagen stand also ganz oben auf der Tagesordnung. Die Bundesgartenschau sollte hier als Inspirationsquelle dienen. Die Tübinger Stadtväter hätten sich schlechtere Vorbilder aussuchen können. Das wichtigste Ziel der Stuttgarter Bundesgartenschau, die von April bis Oktober 1961 68 Millionen Besucher anzog, war es ebenfalls gewesen, neue öffentliche Grünflächen zu schaffen. Dazu wurden die Anlagen der Oberen und Mittleren Schlossgärten im Stadtzentrum komplett umgestaltet. Man hatte sich für eine ausgesprochen moderne Lösung entschieden, deren transparente Großzügigkeit und geometrische Formen auch die Tübinger Gemeinderäte begeisterten: Beim Bummel durch die wunderbaren Anlagen, in denen Fontänen, Brunnen und Wasserspiele eine wohltuende Frische verbreiteten, fielen Worte des Entzückens, denn so prächtig hatte man sich die Anlage nicht vorgestellt. Strauchgruppen und Hecken vermittelten in dem nur knapp 300 Meter breiten Park die Illusion einer unendlich grünen Welt. Der Mittlere Schlossgarten war mit Milchbar, Café, Bocciabahn, Riesenschach, Skattischen und einem Lesegarten zu einem regelrechten Freizeitpark umgestaltet worden – eine Idee, die auch in Tübingen Jahre später aufs Tapet kommen sollte, als man auf den Weilheimer Wiesen etwas Ähnliches etablieren wollte.

Der Krieg war endgültig vorbei, die Kriegsschäden beseitigt, die Wirtschaftswunderkinder konnten sich wenigstens hin und wieder zurücklehnen und das Leben genießen. Die großflächigen Grünanlagen bildeten auch Rückzugsbereiche in Städten, in denen das Auto einen immer größeren Raum einnahm. „In den Lustgärten unserer Gegenwart geht man zu Fuß“, konnte man in einer Sonderausgabe der Zeitschrift „Stuttgarter Leben“ zur Bundesgartenschau lesen. Und tatsächlich: Eine neue, elegante Fußgängerbrücke verband die staatlichen Gartenanlagen miteinander und im Schlossgarten verzichtete man auf die bis dahin von Autos befahrene Mittelstraße.

Der zunehmende Autoverkehr vertrieb auch die Kinder von den Straßen und sorgte dafür, dass plötzlich überall Kinderspielplätze ein wichtiger Bestandteil der Stadtgrünplanung waren. Auf dem Weißenhofer Parkgelände wurde deshalb ein Kinderspielplatz angelegt, dessen Klettergerüste auch von größeren Kindern genutzt werden konnten – zu denen am Exkursionstag zum Amüsement aller Tübinger Ehrengäste auch Bürgermeister Doege gehörte. Alle waren sich einig, dass die Stuttgarter Gartenschau zahllose Vorbilder für die Gestaltung der Tübinger Anlagen geliefert hätte und der Ausflug wurde als voller Erfolg verbucht.

Eine eigene Gartenschau hatte Tübingen noch nie, auch wenn der sommerliche Blumenschmuck nach Aussage einer Besucherin bereits aussieht „wie auf einer Bundesgartenschau!“ Die nächste Landesgartenschau, die noch keinen „Austragungsort“ hat, wäre 2026. Das wäre doch was! Andrea Bachmann

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Erstellt:
13.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 47sec
zuletzt aktualisiert: 13.07.2016, 01:00 Uhr

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