Kleine Geschichten, große Geschichte (179)

Gleich wichtig

Mathilde Weber setzte sich für Frauenbildung ein

16.08.2017

Gleich wichtig

Wenn in einem töchterreichen Hause alles Denkbare und Undenkbare überhäkelt, überstickt, übermalt, gebrannt, gebeizt und modelliert ist, da überkommt einen doch ein großes Schmerzgefühl, daß dieser Thatendrang nicht zu Ersprießlicherem verwendet werden konnte.“

Mathilde Weber war immer voller Thatendrang. Sie wird am 16. August 1829 geboren, besucht die Höhere Töchterschule in Ellwangen, heiratet einen Professor für Agrarwirtschaft, mit dem sie 1858 das Hofgut Bläsiberg pachtet, das sie fortan leitet. Außerdem kümmert sie sich um die Hofgutpraktikanten. Weil ihr Mann an einem Augenleiden erkrankt ist und zunehmend erblindet, liest sie ihm Zeitungen, Bücher, Fachzeitschriften vor und überarbeitet die von ihm geschriebenen Texte – und eignet sich auf diese Weise Wissen an, das eine anständige Frau Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich gar nicht wissen durfte.

1869 macht Mathilde Weber die Bekanntschaft mit Louise Otto-Peters, der Gründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Sie wird neugierig, fährt auf eine Mitgliederversammlung und kommt als Vorstandsmitglied wieder zurück.

1888 reicht sie ihren Aufsatz „Ärztinnen für Frauenkrankheiten – eine ethische und sanitäre Notwendigkeit“ als Petition an die deutschen Landesregierungen ein. Hurra gerufen haben die Herren Parlamentarier dazu nicht.

Sie gründet Frauenarbeitsschulen und Sanitätsvereine, in denen Krankenpflegerinnen ausgebildet werden, sie setzt sich für Frauenerwerbstätigkeit ein und baut Häuser, in denen alleinstehende Frauen preiswert wohnen können.

Eine Feministin? Eher nicht. Eine Sozialreformerin? Nicht wirklich? Auf keinen Fall möchte sie „Mannweiber und Blaustrümpfe“ erziehen. Und ein bisschen hat ihr Neffe und heftigster Gegner Gustav Walch, Gynäkologe und Leiter der Stuttgarter Hebammenschule, doch Recht, wenn er es als die „Pflicht aller erhaltenden Elemente der jetzigen Gesellschaft“ ansieht, „eine Umsturzpartei, wie sich die Frauenemanzipationspartei in ihren Konsequenzen dargestellt, mit aller Macht entgegenzutreten, selbst wenn es nicht gelingen sollte, die Bewegung aufzuhalten, welche ebenso staatsgefährlich ist, und die jetzige Gesellschaft in gleichem Maße bedroht, wie die ähnliche Tendenzen verfolgenden Socialisten und der Nihilismus.“

Sozialismus und Nihilismus sind Mathilde Webers Sache genauso wenig wie Blaustrümpfe und Mannweiber. Die bestehende Gesellschaftsordnung zu kritisieren, fällt ihr nicht ein.

Sie macht das, was zu den Kernaufgaben von Frauen aus dem gebildeten Bürgertum gehört: Sie kümmert sich um Bedürftige. Aber sie spendet nicht nur ein paar abgelegte Kleider und hilft alle vierzehn Tage eine halbe Stunde in der Suppenküche aus.

Sie ist überzeugt, dass nichts besser gegen Armut, vor allem gegen weibliche Armut wirkt als Bildung und berufliche Kompetenz. Der beste Frauenberuf schlechthin, der, der ihrer Natur am meisten entspricht, ist der der Hausfrau und Mutter. Mathilde Weber wirbt ihr Leben lang für die Höher- und Neubewertung dieser wichtigen sozialen Aufgabe. Und unverheiratete Frauen finden in der Tätigkeit einer Lehrerin, Erzieherin, Hausdame, Gouvernante oder – eine Stufe drunter – eines Dienstmädchens, einer Krankenschwester, einer Näherin oder Strickerin finanzielle Unabhängigkeit, vor allem von öffentlicher Sozialfürsorge. „Unverschuldet Arme“, die fleißig, ordentlich und sparsam sind, werden zunächst mit Arbeitsmöglichkeiten, dann mit Sachleistungen unterstützt. Geld gibt es nur in den seltensten Fällen.

Weil Frauen aufgrund ihrer angeborenen und durchaus wünschenswerten Sittsamkeit lieber sterben, als ihre frauengesundheitlichen Probleme einem männlichen Arzt anzuvertrauen, braucht die Welt weibliche Ärzte.

Mathilde Weber verkämpft sich dafür, dass beide Geschlechter gleich wichtig für das gesellschaftliche Leben und das Allgemeinwohl sind. Das war im Deutschland des 19. Jahrhunderts schon richtig, richtig fortschrittlich. Sozialarbeit und Medizinstudium statt sticken, häkeln, modellieren. 1888 war das noch fast undenkbar. Andrea Bachmann

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Erstellt:
16.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 45sec
zuletzt aktualisiert: 16.08.2017, 01:00 Uhr

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