Zweites Paar Augen

Mit Philippe Clédon barfuß durch den Wald

Wer mit dem Barfußtrainer Philippe Clédon unterwegs ist, lernt eine Menge über die Vielseitigkeit eines Waldbodens und die eigenen Füße. Der Sporttrainer und promovierte Biologe macht aus einem Spaziergang ohne Schuhe ein sportliches Naturerlebnis.

07.09.2016

Von Andrea Bachmann

Mit Philippe Clédon barfuß durch den Wald

Moos fühlt sich natürlich wundervoll an. Sehr angenehm ist trockenes Buchenlaub, das unter den Fußsohlen zerbröselt. Die Rinde eines Baumstammes federt ein wenig und ist erstaunlich weich. Dagegen pieken die kleinen Steinchen auf dem offiziellen Forstwirtschaftsweg so sehr, dass ich meine Schuhe wieder anziehe. In den Matschboden eines Tümpels voller Wasserlinsen hinein zu waten ist lustig – und ein bisschen beängstigend. Zum Schluss kühlen wir unsere kribbelnden Füße im klaren Kirnbachwasser.

Wie bist du auf das Barfußlaufen gekommen?

Bei einer Laufsportfortbildung mussten wir barfuß über eine Wiese laufen. Ich habe sofort gemerkt, wie sich Bewegungsabläufe dadurch verändern und sich dabei die Körperhaltung verbessert und war sofort angefixt. Ich habe das dann weiter ausgebaut und in mein eigenes Trainingsprogramm übernommen. Aus einem Volkshochschulkurs ist die Barfußinitiative Tübingen entstanden, die von Orthopäden und Physiotherapeuten unterstützt wird. Ich biete regelmäßig geführte Barfuß-Wanderungen durch den Schönbuch an und am 1. Mai haben wir den ersten Barfuß-Wandertag veranstaltet.

Was ist so toll daran, barfuß zu laufen?

Wer barfuß läuft, spürt die verschiedenen Untergründe, auf denen er läuft. Das sensibilisiert dich für deine Umgebung – man könnte sagen, deine Füße sind dein zweites Paar Augen. Du entwickelst eine intensivere Körperwahrnehmung, du wirst einfach geerdet. Wir sind voller negativer Energie und die läuft einfach aus uns heraus, wenn wir barfuß unterwegs sind.

Leiden die Füße da nicht drunter?

Man muss barfuß laufen lernen. Unsere Füße sind es nicht mehr gewohnt, ohne stützendes Schuhwerk bewegt zu werden. Zu Anfang ist barfuß laufen sehr anstrengend, nicht nur, weil man jede kleine Unebenheit spürt, sondern auch, weil die Fußmuskulatur der meisten Menschen viel zu schwach ist und erst wieder aufgebaut werden muss. Natürlich kann man sich auch verletzen. Aber das sind meistens nur Bagatellen, die schnell wieder heilen. Und wenn man gelernt hat, wieder barfuß zu laufen, geht man sicherer und schneller und die Füße werden weniger empfindlich.

Ist barfuß laufen tatsächlich so gesund?

Unbedingt! Die Fußmuskulatur wird gekräftigt, die Körperhaltung verbessert sich, man entwickelt ein besseres Laufmuster, das die Gelenke schont. Das ist schon ziemlich toll. Außerdem wird das Bindegewebe an der Fußsohle, die sogenannten Plantarfaszien, stimuliert und massiert. Alles zusammen beugt Rückenschmerzen vor und macht allgemein beweglicher.

Läufst du jetzt immer und überall barfuß?

Nein. Ich bin kein Hippie. In der Stadt laufe ich nicht barfuß, das finde ich erstens unhygienisch und zweitens bringt es überhaupt nichts, barfuß auf Beton oder Asphalt herumzulaufen. Die Füße wollen natürliche Böden.

Du bietest geführte Barfußwanderungen an. Kann ich nicht einfach allein im Wald spazieren gehen?

Das kannst du natürlich auch! Aber ich habe Strecken im Wald ausgesucht, die sehr abwechslungsreich sind und auf denen man nur wenige Passagen hat, auf denen man Schuhe anziehen muss – barfuß über spitze Schottersteine muss ja nicht sein! Außerdem machen wir eine Menge Übungen für die Fußmuskulatur, balancieren über Baumstämme oder auf einer Slackline. Ich versuche auch, immer eine oder zwei Wasserstellen einzubauen. Wir laufen offroad, auch mal durch den Schlamm, und benutzen den Wald als Sportgerät. Das Ganze ist eher ein Training und nicht nur ein Spaziergang.

Du hast eine Barfuß Initiative Tübingen gegründet. Was hast du vor?

Ich möchte die Menschen sensibilisieren und barfuß in Bewegung bringen. Dazu könnte ich mir eine Interessengemeinschaft aus Physiotherapeuten, Fußpflegern und anderen Menschen vorstellen, die sich fürs Barfußlaufen einsetzt. Vor allem Kinder sollten viel barfuß laufen, sie entwickeln dann nachweislich seltener Senkfüße oder andere Fehlstellungen. Ich würde gerne Lehrerinnen und Lehrer dazu ausbilden, mit den Kindern barfuß zu laufen. Und ich träume von einem richtigen Barfußpark. In Dornstetten gibt es so etwas schon und es ist sehr erfolgreich. Ich bin sicher, in Tübingen würde das super funktionieren.

Interview / Bild: Andrea Bachmann

www.movincoach.com

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Erstellt:
07.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 07.09.2016, 01:00 Uhr

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