Attentat auf einen Heiligen

Ritter Georg wurde am 25. Mai 1979 amputiert

Lässig, mit nahezu meditativer Geste, erledigt Ritter Georg auf dem Tübinger Holzmarktbrunnen mit seiner Lanze einen Drachen von allerdings nicht besonders imponierender Größe – dem Kunsthistoriker Konrad Lange kommt 1911 zur Beschreibung der Größenverhältnisse als erstes ein Dackel in den Sinn.

24.05.2017

Von Andrea Bachmann

Der Drachentöter vor der Tübinger Stiftskirche. Bild: Bachmann

Der Drachentöter vor der Tübinger Stiftskirche. Bild: Bachmann

Der heilige Georg war der Schutzpatron der Pfalzgrafen von Tübingen und der Grafen von Württemberg und deshalb natürlich auch der Schutzheilige der Stiftskirche. Ein im ritterlichen Adel besonders beliebter Heiliger – hatte man es bei Georg doch mit seinesgleichen zu tun, einem echten, tapferen Ritter mit Lanze und Schwert, der Drachen umbringt und Prinzessinnen befreit. Ein echtes Vorbild! Der heilige Georg war ganz ohne jeden Zweifel der Winnetou des Mittelalters.

Vielleicht war es antimilitaristische Überzeugung, die immer noch unbekannte Täter am 25. Mai 1979 dazu brachten, dem Georg auf dem „Jörgenbrunnen“ den linken Arm mitsamt der Lanze zu amputieren und die Bruchstücke in den Brunnentrog zu werfen. Kraft und Zerstörungswut müssen beträchtlich gewesen sein – der Mainsandstein war ziemlich stabil, die Reparatur wurde eine schwierige und kostspielige Angelegenheit.

Schon wenige Monate später wurde das nächste Attentat auf den Heiligen verübt: Ein 20 Jahre alter Kunstliebhaber aus Ammerbuch besprühte die Skulptur mit lila Farbe, weil er die frisch aufgetragene Bemalung des Brunnenheiligen „kitschig und abstoßend“ fand. Damit war er zwar nicht alleine – Öffentlichkeit und Gemeinderat waren durchaus unterschiedlicher Ansicht über die Farbgebung des Sandsteinritters, aber diese Pop-Art-Selbstjustiz ging dann doch eindeutig in Richtung Sachbeschädigung. Der Sandsteinheilige selbst wird es gelassen genommen habe, der hatte in seinem Leben einiges hinter sich – inklusive einer regelrechten Reinkarnation.

Schon 1495 wird in einer Spitalurkunde eine Jörgenbrunnengasse erwähnt, die unschwer als die heutige Lange Gasse identifiziert werden kann und an deren Ende ein Brunnen stand, der wegen seiner Nähe zur Stiftskirche St. Georg Jörgenbrunnen genannt wurde.

1523 fiel die Ernte besonders reichlich aus, ein „köstlich und gutes Jahr“ soll es gewesen sein. Außerdem hatten sich Erzherzog Ferdinand und drei Bischöfe zum Besuch angesagt und denen wollte man etwas bieten. Also wurde der Bildhauer Andreas Lang damit beauftragt, dem „Jörgenbriunnen“ ein etwas repräsentativeres Aussehen zu geben. Ein Ritter in typischer Gestalt, angetan mit einer 1520 modischen Rüstung, der auf einem ebenfalls zeittypischen korinthischen Säulenkapitell stand, war die passende Dekoration des gotischen Röhrenbrunnens, der seitdem Holzmarkt und Stiftskirchentreppe zu einem dekorativen Platz machte.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der Brunnen restauriert und der Maler Leonhard Haag verpasste der Statue ein farbiges Outfit: Naturbelassener Stein galt als ungepflegt und unelegant und so wurde alles bemalt, was einen Eimer Farbe vertragen konnte – vom Schlossinnenhof bis zu den Grabmalen in der Stiftskirche.

1841 waren Treppe und Brunnen baufällig. Anstatt beides zu restaurieren, riss man beides ab, baute eine Stützmauer und stellte einen gusseisernen Brunnen aus Wasseralfingen auf. Das tat höchstens ein paar ewiggestrigen Kunstfreunden leid, Max Eifert schreibt 1849 in seiner „Geschichte und Beschreibung der Stadt Tübingen“: „Indessen war die Gestalt des Ritters zu Fuße in der Rüstung des 16. Jahrhunderts eine so steife, seine Haltung, mit der er dem sehr kleinen Drachen die Turnierlanze in den Rachen stieß, so lahm und leblos, dass die durch gänzliche Veränderung des Brunnens im Jahr 1841 veranlasste Entfernung des Bildes, das der Studentenwitz zuletzt in mancherlei unangemessene Farben gekleidet hatte, keineswegs zu bedauern ist.“

Georg und der Drache erhielten zunächst Asyl in der Stiftskirche. Die wurde 1876 renoviert und von Georg und dem Drachen verlor sich (fast) jede Spur. Wie es dazu kam, dass es 1979 dann doch einen Georg gab, den man beschädigen und besprühen konnte, wird nächste Woche erzählt.Andrea Bachmann

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Erstellt:
24.05.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 24.05.2017, 01:00 Uhr

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