Am großen Rad

Wolfgang Mülberger war ein OB mit Visionen

Ein Jahrhundertkind, das an Mittsommer auf die Welt kommt: Um seinen Geburtstag, den 21. Juni 1900, könnte man Wolfgang Mülberger fast beneiden.

21.06.2017

„Der Augenblick, da Oberbürgermeister Dr. Mülberger in der Schieberkammer des Hochbehälters Sand das große eiserne Rad drehte, und damit dem Wasser den Weg freigab, bedeutete für die Stadt den vorletzten Schritt zur endgültigen Sicherung ihres Trinkwasserbedarfs, auch für ausgesprochene Notzeiten“, schrieb die TÜBINGER CHRONIK am 14. Juli 1954. „Der Anschluss an den Bodensee wird den letzten Schritt bringen.“Archivbild: Göhner

„Der Augenblick, da Oberbürgermeister Dr. Mülberger in der Schieberkammer des Hochbehälters Sand das große eiserne Rad drehte, und damit dem Wasser den Weg freigab, bedeutete für die Stadt den vorletzten Schritt zur endgültigen Sicherung ihres Trinkwasserbedarfs, auch für ausgesprochene Notzeiten“, schrieb die TÜBINGER CHRONIK am 14. Juli 1954. „Der Anschluss an den Bodensee wird den letzten Schritt bringen.“Archivbild: Göhner

Auch seine Familie hatte durchaus Beneidenswertes: Sie stammte ursprünglich aus dem Elsass und war mit der Verlegerdynastie Cotta verwandt. Mülbergers Vater war Jurist und Oberbürgermeister von Esslingen, seine Mutter Elisabeth Leisinger Sopranistin an der Berliner Hofoper.

Eine Grüner war er auch: Als Student trat er in die Studentenverbindung Corps Suevia ein, dem auch König Wilhelm II angehörte. Das Corps gehörte zum sogenannten Grünen Kreis, einem inoffiziellen Zusammenschluss miteinander befreundeter Verbindungen. Wolfgang Mülberger studierte Jura wie sein Vater, promovierte und wurde Mitglied der CDU. 1949 wurde er als Nachfolger von Adolf Hartmeyer Oberbürgermeister von Tübingen.

Gleich in seinem ersten Amtsjahr hatte Mülberger das Vergnügen des ersten Tübinger Stadtringrennens. Heute ist das schwer vorstellbar, aber in den Nachkriegsjahren war Tübingen eine völlig autoverrückte Stadt, in der man Motorenlärm und Benzingeruch liebte und Mülberger machte da keine Ausnahme. Das Motorradrennen, bei dem Rennfahrer wie Schorsch Meier mit 130 Sachen durch die Südstadt jagten, wurde ein voller Erfolg: Es kamen über 50 000 Menschen! Keine andere Sportveranstaltung in Tübingen konnte sich jemals über so viele Zuschauer freuen.

Man hatte sogar den Gottesdienst vorverlegt. Und damit möglichst viele Menschen von dem sportlichen Großereignis profitieren sollten, fand zur Freude der Tübinger Einzelhändler ein verkaufsoffener Sonntag statt. Die Händler wurden von Oberbürgermeister Wolfgang Mülberger ausdrücklich dazu angehalten, ihre Geschäfte „geschmackvoll herzurichten“ und „nett zu den Gästen zu sein“.

In seinem Grußwort beschwor Mülberger die Begeisterung für diesen lautstarken Fortschritt: „Die Stadt Tübingen beweist damit, dass sie nicht nur eine stille Stadt der Wissenschaft ist, sondern dass sie an der modernen technischen Entwicklung lebhaften Anteil nimmt.“

Unsportlich war Mülberger nicht: Zur Freibaderöffnung am 16. Juni 1951 ließ er es sich nicht nehmen, das neue Schwimmparadies mit einem eleganten Kopfsprung vom Drei-Meter-Brett einzuweihen.

Aber auch der „stillen Stadt der Wissenschaft“ wünschte er mehr Leben. Nachdem schon 1943 ein Teil des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie wegen der zunehmenden Bombardierung von Berlin nach Tübingen verlegt worden und 1949 in Max-Planck-Institut für Biologie umbenannt worden war, versuchte Wolfgang Mülberger auch das Max-Planck-Institut für Eiweiß- und Lederforschung, ein Teil des späteren Max-Planck-Instituts für Biochemie, aus der Nähe von München nach Tübingen zu holen. Im April 1953 träumte er davon „aus Tübingen ein neugeartetes deutsches Cambridge zu machen“.

Das funktionierte leider nicht. Aber Tübingen blieb weiterhin sportlich: Nachdem sich 1954 der Stadtverband für Sport Tübingen als Bindeglied zwischen den Tübinger Sportvereinen und der Kommune gegründet hatte, engagierte sich Mülberger für eine neue, große Turnhalle – die heutige Hermann-Hepper-Halle –, für Mutter-Kind-Umkleiden im Freibad, für Schulsportfeste und den Stadtlauf sowie eine Eisbahn auf den Tennisplätzen in der Wilhelmstraße, für die die Stadtwerke genügend Wasser bereitstellen sollten.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit stieß er eine Debatte an, die noch immer nicht ganz ausdiskutiert ist: In einem anonymen Schreiben schlug jemand vor, den Philosophieprofessor Theodor Haering zum Ehrenbürger zu ernennen. Mülberger war bereit, wohlwollend über den Vorschlag – der vermutlich von Theodor Haering selbst kam! - nachzudenken. Aber das brauchte er zumindest öffentlich nicht mehr lange zu tun: Im Herbst wählten die Tübinger Hans Gmelin statt seiner zum neuen Oberbürgermeister.Andrea Bachmann

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Erstellt:
21.06.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 21.06.2017, 01:00 Uhr

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