Wie eine Wohngemeinschaft

Das Hospiz Veronika in Eningen feiert 20-jähriges Bestehen

21.09.2022

Ehrenamtliche wie Josie Scholz (links) und hauptamtliche Pflegekräfte wie Reinhilde Kohnle-Vöhringer sind für die Gäste im Eninger Hospiz Veronika tätig. Bilder: Gabriele Böhm

Ehrenamtliche wie Josie Scholz (links) und hauptamtliche Pflegekräfte wie Reinhilde Kohnle-Vöhringer sind für die Gäste im Eninger Hospiz Veronika tätig. Bilder: Gabriele Böhm

Hier findet intensiv verdichtetes Leben statt“, sagt Andreas Herpich, der das Hospiz Veronika in Eningen seit 2018 leitet – ein Hospiz, das in diesem Jahr bereits sein 20-jähriges Bestehen feiert.

Herpich (52), ist gelernter Krankenpfleger und war fast zehn Jahre lang beim „Tübinger Projekt“ beschäftigt, einem ambulanten Palliativdienst, der es Schwerstkranken und Sterbenden ermöglicht, zu Hause wohnen zu bleiben. Eine weitere halbe Stelle hatte er als Dozent an der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie in Stuttgart. „Als mich dann Herr Hufnagel ansprach, ob ich die Leitung des Hospizes in Eningen übernehmen möchte, habe ich es mir gut überlegt. Und nie bereut. Denn die Keppler-Stiftung hat die richtige Einstellung mit der Wertschätzung den Menschen gegenüber.“

Im Hospiz Veronika lebe man mit den Gästen, die die acht Zimmer bewohnen, zusammen wie in einer Wohngemeinschaft. „Wir essen zusammen, reden miteinander und versuchen, das Leben in den Mittelpunkt zu stellen.“ 22 Hauptamtliche, fast alle in Teilzeit, 21 Pflegekräfte und eine Sozialarbeiterin kümmern sich um die Gäste. Hinzu kommen 20 Ehrenamtliche, die, so Herpich, einfach unverzichtbar seien.

Bis 2021 war das Eninger Hospiz für die Landkreise Reutlingen und Tübingen allein zuständig. Seit Oktober vergangenen Jahres hat nun auch Tübingen ein eigenes Hospiz, im September 2022 öffnet die Einrichtung in Münsingen. Acht Plätze, die jeweils zur Verfügung stehen, seien eine bewährte Größe, um den Charakter einer Wohngemeinschaft zu ermöglichen. Mit drei Hospizen sei die Region auch gut versorgt, meint Herpich.

Das Hospiz Veronika ist für die Gäste und ihre Angehörigen kostenlos. Es finanziert sich zu 95 Prozent über die Krankenkasse und zu fünf Prozent aus Spenden. „Hospize sollen immer durch die Bürgerschaft mitgetragen werden, um deutlich zu machen, dass Sterben ein menschlicher Vorgang ist und mitten in das Bewusstsein der Gesellschaft gehört“, erläutert der Leiter. Außerdem solle der Kommerzialisierung vorgebeugt werden. Seit 18 Jahren hat das Eninger Hospiz einen sehr engagierten Förderkreis mit rund 300 Mitgliedern, die die Einrichtung ideell und finanziell unterstützen.

Gerade wurde die Renovierung des Hospizes mit neuem Boden, neuem Wandanstrich, Möbeln, Sanitäreinrichtung und Beleuchtung abgeschlossen. Die zurückhaltenden Farben sollen Raum für die Wünsche der Bewohner lassen, ihr Zimmer nach eigenem Geschmack zu gestalten. „Es geht uns im Hospiz auch insgesamt darum, herauszufinden, was unsere Gäste brauchen und wo wir sie bestmöglich unterstützen können“, betont der Leiter.

Die Bedürfnisse seien bei den 29- bis 97-Jährigen und verschiedenen Krankheitsbildern ganz individuell. Manche seien nur wenige Stunden im Hospiz, andere über ein Jahr, einige wenige erholten sich auch wieder und könnten nach Hause oder in eine Pflegeeinrichtung. Die durchschnittliche Wohndauer beträgt rund drei Wochen. Wer ein Zimmer bekommt, wird jeweils aufgrund mehrerer Faktoren entschieden.

Außer einer hervorragenden medizinischen Versorgung, bei der in Sekunden auf Schmerzen, Atemnot oder Krämpfe reagiert und auch der Pflegegrad 5 problemlos gemeistert werden könne, gehe es vor allem um das menschliche Miteinander. „Sowohl das Hospizpersonal als auch die ins Haus kommenden Ärzte tragen Alltagskleidung“, sagt Herpich. „Damit wollen wir deutlich machen, dass wir alle eine Gemeinschaft sind.“

Zwar könne rund die Hälfte der aktuellen Gäste gar nicht oder nur mit Mühe aufstehen, aber man probiere, was möglich sei. Reden, spielen, singen, malen, gemeinsam essen, Ausflüge – es gehe bei weitem nicht immer um Krankheit und Sterben. „Manche sagen, so eine Fürsorge hätten sie noch nie kennengelernt. Wieder andere können nur schwer Hilfe annehmen. Auch das müssen wir dann akzeptieren.“ Manchmal, so Herpich, fänden im Hospiz mehr existentielle Prozesse statt als im Leben vorher. „Da kommen Themen auf wie Versäumtes, mögliche begangene Fehler, das Leben nach dem Tod, aber auch alles Schöne, was man erlebt hat.“ Es zeige sich, dass es gut tue, Dinge zu verarbeiten und sein Leben und seine Beziehungen zu klären. Dies sei übrigens auch als Demenzprophylaxe hilfreich.

Wer mit Todkranken und Sterbenden arbeite, müsse authentisch sein. „Man kann hier keine Rollen spielen. Man kann nur in hohem Maß man selbst sein und muss bereit sein, sich selbst zu zeigen.“ Ihm selbst, so Herpich, gebe seine Gewissheit Kraft, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende sei. „Wenn man so oft beim Tode dabei ist, spürt man, dass da noch eine andere Dimension ist. Es gibt mehr als nur unsere materielle Welt.“ Gabriele Böhm

Das Hospiz Veronika in Eningen (Schillerstraße 60) in Trägerschaft der Keppler-Stiftung feiert sein 20-jähriges Bestehen mit einem Fest am Freitag, 30. September, 19 Uhr und einem Tag der offenen Tür am Samstag, 1. Oktober, 10 - 16 Uhr.

Andreas Herpich leitet seit vier Jahren das Hospiz in Eningen.

Andreas Herpich leitet seit vier Jahren das Hospiz in Eningen.

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Erstellt:
21.09.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 21.09.2022, 01:00 Uhr

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