Der Kommentar

Der Leib des Politikers

14.04.2021

Von Angelika Brieschke

Seit Monaten sehe ich immer nur die Hälfte jeder Nachrichtensendung – weil ich ständig wegschauen muss. Mir wird nach diesen vielen immer gleichen Bildern inzwischen leicht schummrig, wenn ich sehe, wie ein Corona-Teststäbchen mit beängstigender Länge in eine Nase Richtung Gehirn hochgeschoben wird oder wie in einen entblößten Oberarm eine doch sehr beachtliche Nadel mit kraftvollem Schwung gedrückt wird.

Aber neulich, als unser Landesvater Winfried Kretschmann mit Astra-Zeneca – dem Kommunikations-Rumpelstilzchen aller Corona-Impfstoffe – geimpft wurde, habe ich genau hingesehen. Auf so ein Politiker-Statement warte ich schon lange. Schließlich kann ich mich noch gut an Zeiten erinnern, als es üblich war, dass Politiker mit Leib und Leben um Vertrauen bei ihrer Bevölkerung warben – für was auch immer.

Im Oktober 1985 etwa. Da verspeiste der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth öffentlichkeitswirksam industriell hergestellte Spätzle. Die waren in der „Flüssigei-Affäre“ in Verruf geraten: Bei der massenweisen Herstellung bekannter Fabriknudeln waren befruchtete und bebrütete Eier, sogar Schlachtabfälle als Zutat gefunden worden. Der inkriminierte Nudelhersteller behauptete das Gegenteil und Lothar Späth stellte sich hinter ihn. Es kam zum öffentlichen Nudelessen mit Ministerpräsident und Nudelfabrikant in einem Stuttgarter Hotel.

Das machte Schule: Anfang 1987, ein knappes Jahr nach der Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl, löffelte Bayerns Umweltminister Alfred Dick öffentlich ein paar Gramm radioaktiv verstrahltes Molkepulver – um dem wachsenden Vertrauensverlust der Bürger in die Atomindustrie etwas entgegenzusetzen. „Des tut mir nix“, soll der CSU-Politiker laut Spiegel-Bericht dazu gesagt haben.

Ähnlich abenteuerlich für Leib und Leben war die medienwirksame Aktion von Bundesumweltminister Klaus Töpfer: Er sprang im Mai 1988 im Neopren-Anzug in den Rhein, um die Sauberkeit des Flusses zu beweisen. Bei starker Strömung schaffte der starke Raucher die 350 Meter ans andere Ufer in sensationellen acht Minuten. Anschließend sagte er: „So etwas mache ich nie mehr.“ Viele seiner Kollegen wären froh gewesen, er hätte es gar nicht gemacht. Schließlich hatte für Töpfers schwimmerische Vertrauensmaßnahme ein bestehendes Badeverbot für zwei Stunden aufgehoben werden müssen. Zudem hatten Rheinwasser-Proben damals alarmierend große Mengen an Kolibakterien und anderen Keimen für Durchfall, Hautreizungen, Magenprobleme und Mittelohrentzündungen zu bieten.

Das alles hat Winfried Kretschmann nicht zu befürchten. Schließlich befindet er sich in dem momentan geltenden Altersabschnitt für den Impfstoff, dessen Image wahrscheinlich keine Werbekampagne mehr nachhaltig retten kann. Eine Werbekampagne, die Astra-Zeneca aber vermutlich gar nicht braucht: Die Dynamik der Pandemie ist Werbung genug.

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Erstellt:
14.04.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 14.04.2021, 01:00 Uhr

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