Verspielter Bau

Die Tübinger Villa von Paul von Bruns hat schon viele Bewohner beherbergt

26.04.2017

Die Tübinger Villa von Paul von Bruns hat schon viele Bewohner beherbergt

Die Villa war prachtvoll, der Garten ein Traum und der Bauherr so prominent, dass König Wilhelm II. persönlich vorbei schaute, um das Anwesen einzuweihen. 1901 ist das Haus, dass sich Paul von Bruns, Sohn und Nachfolger des Tübinger Chirurgen Viktor von Bruns, von den beiden Stuttgarter Stararchitekten Ludwig Eisenlohr und Carl Weigle hat bauen lassen, bezugsfertig.

Ein verspielter Bau im Stil der deutschen Renaissance mit verschiedenen Erkern und Türmchen, einem Gartenzimmer und vielgestaltigen Fensteröffnungen. Laibungen aus Sandstein, ein Fachwerkgiebel, im Erdgeschosss ein hölzerner Windfang für den Kücheneingang. Ein kleines Märchenschloss, repräsentativ, aber nicht furchteinflößend. In schönster Lage, fast noch ein bisschen außerhalb der Stadt, Universität und Klinik in wenigen Gehminuten erreichbar, aber trotzdem wie auf dem Lande. Dazu trägt der Zaubergarten von Otto Berz und Karl Schwede bei, in dem aufwändige Felsformationen für hippes Alpenflair sorgen und viele Nadelbäume für immergrüne Landschaften. Schöne Einzelbäume, üppige Rasenflächen – der Park der Villa Bruns war alles andere als ein schwäbisches Bauerngärtlein.

Paul von Bruns war übrigens mit Marie von Weizsäcker verheiratet, der Großtante von Richard von Weizsäcker. Ihr Bruder war von 1906 an Ministerpräsident des Königreichs Württemberg. 1916 starb Paul von Bruns, 1934 verkauften seine Nachkommen das Haus an das Bistum Rottenburg. Die Diözese brauchte notwendig neue Räumlichkeiten, um die 75 Studienanfänger unterzubringen, für die im Wilhelmstift in der Stadt kein Platz mehr war. 1935 kam zu der königlichen Einweihung noch die bischöfliche Weihe hinzu und das Haus erhielt den Namen „Johanneum“.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Haus für den Reichsarbeitsdienst beschlagnahmt und war eine Zeitlang Sitz der Marineverwaltung, bis es nach dem Krieg wieder zum „Theologenheim“ wurde.

Der Platz reichte bald aufs Neue nicht mehr aus, zu viele Seminaristen waren unterzubringen. Für sie baute der Rottenburger Architekt Hans Lütkemeier an die hochherrschaftliche Villa einen L-förmigen, kasernenartigen Erweiterungsbau. Dafür musste der östlich gelegene Eingangsbereich der Villa abgebrochen werden, der ursprüngliche Obstgarten im Nordosten der Villa wurde überbaut. Schön war das nicht – aber zweckmäßig, preiswert, vernünftig, nüchtern und schlicht. Also gerade passend für zukünftige Priester, die jetzt nicht mehr dem Charme der frei stehenden Villa mit dem Landschaftsgarten verfallen konnten.

Am 26. April 1951 weihte Bischof Carl Joseph Leiprecht den neuen Erweiterungsbau ein. Von dem ist heute nichts mehr zu sehen.

Bis in die 90er Jahre wohnten komplette Kurse für ein Jahr im Johanneum. Mittlerweile haben alle Priesteramtskandidaten ihr Zimmer wieder im Wilhelmstift. Im Johanneum sind das Theologische Mentorat, das Ambrosianum – ein theologisches Vorbereitungsseminar – und die Diözesanstelle Berufe der Kirche untergebracht.

2009 entschied man sich zu neuen Baumaßnahmen und schrieb einen Architekturwettbewerb aus. Im Zuge der darauffolgenden Baumaßnahmen wurde der etwas unglücklich angeklatschte Winkelanbau von 1951 abgerissen, die historische Villa wieder freigestellt und behutsam rückgebaut. Im Gartenzimmer gelang es sogar, die schönen alten Holzrollladen zu erhalten. Auf dem Gelände entstanden vom Altbau getrennte kubische, mit grauen Ziegeln verkleidete Neubauten, die einen bewussten Kontrast zum verspielten Formenreichtum der Villa darstellen. 2012 wurde das neue Ensemble eingeweiht. Andrea Bachmann

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26.04.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 26.04.2017, 01:00 Uhr

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