Der Kommentar

Zurück für die Zukunft

21.10.2020

Von Angelika Brieschke

Die Veranstaltung in der vergangenen Woche zu den Alternativen zur Tübinger Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn war ausführlich: Vier Stunden lang stellte die Alternativen-Gruppe aus Stadtverwaltung und externen Verkehrsplanungs-Experten ihre Ergebnisse in der Hepper-Halle vor. Und nicht nur da: Mehrere hundert Zuschauer/innen verfolgten die Veranstaltung über den angebotenen Livestream mit. (Liebe Stadtverwaltung: Vielen Dank für dieses coronakonforme und publikumsfreundliche Beteiligungsformat.)

Der Abend allerdings war ein Parforce-Ritt durch eine wahre Folienflut mit Unmengen an Zahlen, Grafiken, Karten und Tabellen. Und einem echten Knaller nach ungefähr einer Stunde Vorstellung des Planungsstandes: Eine der beiden Verkehrsmittel, die der Alternativen-Suchtrupp aus insgesamt acht als untersuchenswert ausgewählt hat, ist eine Seilbahn. Eine Seilbahn! Vom Tübinger Bahnhof über den Neckar den Schnarrenberg hoch!

Da habe ich mich zum ersten Mal gefragt, ob die Alternativen-Gruppe unbemerkt von Stadtbahnbefürwortern unterwandert worden ist, denn ernsthaft kann niemand die Planung einer Seilbahn in Tübingen verfolgen. Diese Idee hat sich mit zwei Fragen erledigt: Wie würde der Grundstückserwerb verlaufen und wäre ein über 40 Meter hoher Pfeiler vor dem Österberg wünschenswert?

Auch die zweite Alternative war letztlich keine: Vorgeschlagen wurde ein Schnellbus-Netz rund um Tübingen mit großen Doppel-Gelenk-Bussen. Das würde zwar eine Verbesserung für den Stadtbus bringen, aber nicht viel für das, was der eigentliche Sinn der Innenstadtstrecke oder einer Alternative sein soll: Die Einpendler/innen aus dem Umland vom Auto weg auf den ÖPNV locken.

Wenn der Abend ein Deutschaufsatz gewesen wäre, hätte man „Thema verfehlt“ drunter schreiben müssen. Als ich nach vier Stunden digitaler Daueransprache ermattet auf meinem Sofa saß, war mir eine dritte Alternative spontan am sympathischsten: der „Ohnefall“ . Der Fall, der abbildet, wie es im Jahr 2030 verkehrsmäßig in Tübingen aussehen würde, wenn man einfach gar nichts baut. Auch da wäre nämlich einiges schon viel besser mit neuem Zentralem Omnibusbahnhof, keinen Einbahnstraßen mehr um den Alten Botanischen Garten und eben keiner Stadtbahn in engen Straßen.

Mich beschleicht manchmal der ernüchternde Gedanke, dass wir jetzt vielleicht ein riesenhaftes Verkehrsprojekt planen und bauen, das für die Lebens- und Arbeitswelt der vergangenen 30, 40 Jahre prima passen würde. Aber nicht für die Zukunft.

Angelika Brieschke

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Erstellt:
21.10.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 07sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2020, 01:00 Uhr

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