Die Haltung ändern

Dirk Revenstorf arbeitet viel mit Hypnose

Dirk Revenstorf ist Professor für klinische Psychologie an der Universität Tübingen. In seiner Praxis arbeitet er häufig mit Hypnose. Der TAGBLATT ANZEIGER sprach mit ihm über diese besondere Therapiemethode.

14.03.2018

Von Angelika Brieschke

Dirk Revenstorf ist Psychologie-Professor in Tübingen.

Dirk Revenstorf ist Psychologie-Professor in Tübingen.

TAGBLATT ANZEIGER: Wie sind Sie darauf gekommen, Hypnose als Therapiemethode anzuwenden?

Dirk Revenstorf: Ich war zunächst Chemiker, dann Statistiker und dann habe ich lange als Verhaltenstherapeut gearbeitet – was ich auch immer noch tue. Irgendwann war mir aber die Verhaltenstherapie zu sehr nur rational.

Das Besondere an Hypnose ist, dass sie den Menschen auf einer anderen Ebene anspricht, mit Bildern, ohne etwas direkt auszusprechen. Das geht über die intuitive Ebene, man ist da offen für bisher ausgeblendete Möglichkeiten, fast kindlich phantasievoll und kann Dinge ganz anders in Beziehung setzen. Hypnose ist ein anderer Bewusstseins-Zustand, in dem man einen besseren Zugang zu seinen kreativen und gesunden Seiten hat und auch Worte anders wirken können.

Zum Beispiel?

Wenn man zum Beispiel Märchen erzählt. Normalerweise denkt man über Märchen: ‚Ist ja nett, aber was hat das mit mir zu tun?‘ In Trance aber denkt man anders darüber nach. So hat der Satz „Es ist genug“ aus dem Grimmschen Märchen vom heißen Brei, der überquillt, eine meiner Patientinnen dazu gebracht, endlich ihren Schreibtischkram zu erledigen, den sie ständig aufgeschoben hat, weil sie keine Lust dazu hatte. Das hätte ich auch so zu ihr sagen können, aber es wäre wirkungslos geblieben – denn sie hatte sich das selbst schon oft genug gesagt.

Was geschieht bei einer Hypnotherapie-Sitzung?

Zunächst reden wir über das, was gerade anliegt. Dann die Trance-Induktion, die dauert ungefähr 20 Minuten. In der Hypnose geht es vor allem um Selbstwirksamkeit. Der Patient soll gefühlsmäßig in die Lage versetzt werden, dass er selbst seine Haltung und sein Verhalten ändern kann. Ich fordere ihn zum Beispiel auf, sich an drei Situationen zu erinnern, in denen er sich vollkommen stimmig mit sich selbst gefühlt hat. Die Gefühle, die er dabei hatte, also Stolz oder Freude, werden in der Trance sehr lebendig wieder erlebt und helfen später, Zweifel zu beseitigen und schwierige Situationen zu meistern. Denn Zweifel sind unser größter Feind. Während der Trancesitzung erhält der Patient dann einen ‚posthypnotischen Auftrag‘, damit er das, was er in der Sitzung geklärt hat, im Unterbewusstsein verankert und dann auch in der Realität umsetzt.

Für welche psychischen Probleme oder Krankheiten ist die Hypnotherapie geeignet?

Anwendbar ist sie für alle Arten von Ängsten, Traumata, Depression, psychosomatische Probleme. Aber auch bei Schlafstörungen und Suchtverhalten, zum Beispiel Rauchen und Essenstörungen. Es gibt Studien, die zeigen, dass mit Hypnotherapie 50 Prozent der behandelten Raucher auch nach einem Jahr nicht mehr rauchen. Das wird sonst mit keiner Therapie erreicht.

Nur bei Alkoholmissbrauch ist Hypnose weniger geeignet.

Warum?

Es gibt zwei Arten von Alkoholikern. Zum einen den sozialen Trinker, dessen Leben ansonsten intakt ist, der zum Beispiel mit seiner Frau abends ein paar Gläser Wein trinkt und dann eben ein, zwei zuviel. Oder einer, der nach der Arbeit mit seinen Kollegen in einer Bar ein paar Bier trinken geht. So jemanden kriegt man aus dem Einfluss der sozialen Umgebung gar nicht raus. Er müsste dann aushalten, was die anderen sagen, wenn er nur noch Sprudelwasser trinkt.

Und dann gibt es den abgewrackten Trinker, bei dem so Vieles im Argen liegt – etwa medizinische, familiäre oder finanzielle Dinge –, was man zusätzlich regeln muss, dass man das nur sozialarbeiterisch hinkriegt.

Sie waren lange Präsident der Milton-Erickson-Gesellschaft für klinische Hypnose (MEG). Was ist das?

Die MEG ist ein Fachverband von etwa 2000 Psychotherapeuten, Ärzten und Zahnärzten, der sich in wissenschaftlich fundierter Form für die therapeutische und medizinische Anwendung der Hypnose stark macht, entsprechende Forschung fördert und Ausbildungen anbietet.

Es gibt noch einen weiteren Fachverband: die Deutsche Gesellschaft für Hypnose. Beiden Gesellschaften geht es vor allem darum, die Hypnose aus dem Zwielicht der Bühnenhypnose herauszubringen und zu zeigen, dass Hypnotherapie ein seriöses, anerkanntes Heilverfahren ist. Beide Verbände führen entsprechend Listen von zertifizierten Hypnotherapeuten.

Interview / Bild: Angelika Brieschke

Am Dienstag, 20. März, gibt es einen Tag der offenen Tür bei der Milton-Erickson-Akademie in Tübingen, Gartenstraße 18. Ab 17 Uhr können alle Interessierte die Institutsräume besichtigen, Hypnose kennen lernen und Fragen zur Hypnotherapie stellen. Um 17.15 Uhr und um 19.15 Uhr hält Dirk Revenstorf einen Vortrag über Hypnose mit live Demonstration.

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Erstellt:
14.03.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 14.03.2018, 01:00 Uhr

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