Klare und zeitlose Formensprache

Gerettete Typografien: Die Futura der „Goldenen Zeiten“ am Tübinger Europaplatz

Als am 10. September 2020 die Aufschrift der „Goldenen Zeiten“ demontiert wurde, ging eine lange Gaststätten-Tradition am Europaplatz des Tübinger Hauptbahnhofs zu Ende, die 1961 mit der „Parkgaststätte“ an dieser Stelle begann. Das alte Parkgaststättenschild wurde leider bei der Übernahme und Umbenennung der Gastronomie in Goldene Zeiten 2016 vernichtet. Letzteres aber konnte gerettet werden.

12.01.2022

Barbara Honner hat die Erinnerung an eine Tübinger Gaststätten-Tradition gerettet und dem Stadtmuseum ein typografische Kulturerbe überreicht. Bild: Barbara Honner

Barbara Honner hat die Erinnerung an eine Tübinger Gaststätten-Tradition gerettet und dem Stadtmuseum ein typografische Kulturerbe überreicht. Bild: Barbara Honner

Mit den goldenen Klebebuchstaben auf weißem Plexiglas, die von hinten beleuchtet werden konnten, erhielt das Tübinger Stadtmuseum ein wundervolles typografisches Kulturerbe für die Stadtschriftensammlung. Denn der Gastronom Frank Heft entschied sich 2016 zusammen mit dem Tübinger Grafiker Matthias Betz für die Futura Display EF.

Die Futura ist nicht nur irgendeine Schrift. Sie gehört zu den prominentesten, erfolgreichsten und einflussreichsten Weltschriften. 1924 erhielt der Maler, Buchgestalter und Typograf Paul Renner (1878-1956) den Auftrag, eine Druckschrift zu entwerfen, die als Schrift seiner Zeit gelten sollte. Mit Stift und Millimeterpapier machte er sich sogleich ans Werk. Obwohl er eine moderne Groteskschrift (ohne Füßchen) entwarf, folgte er den Gestaltungsprinzipien der römischen Inschrift auf der Trajansäule in Rom. Für den erwiesenen Kenner der Schriftgeschichte war die Capitalis Monumentalis „ein Muster jener Vollkommenheit, die niemals altern kann“. Bestand das erste Alphabet seiner neuen Schrift noch aus zum Teil exzentrischen Buchstaben (wir befinden uns in den 1920er-Jahren!), erhielt die Futura in den Folgeentwürfen eine klare und einfache Formensprache, die wie die Capitalis Monumentalis geometrischen Prinzipien gehorchte. Frei von Stil und daher für jeden Zweck verwendbar, galt die Futura schnell als zeitlos. Kaum eine andere Schrift markierte in der Folge so sehr den Aufbruch in die Moderne, galt als Ikone der visuellen Kultur und ist heute noch ein Dokument für den Zeitgeist der Avantgarde der Zwanzigerjahre.

1928 war der Klassiker endgültig designt, 1932 fügte Renner zur Schriftfamilie die Futura Display hinzu, die damals noch Futura Schlagzeile hieß und die wir auf den Goldenen Zeiten wiederfinden. Besonders in den 1950er-Jahren erlebte die Futura eine Renaissance und wurde zur Wirtschaftswunderschrift. Sie ist auch die einzige Schrift, die es auf den Mond schaffte. Die Edelstahl-Platten, die die Apollo-11-Astronauten 1969 an ihren Landeorten auf der Mondoberfläche hinterließen, sind mit Inschriften aus der Futura versehen. Paul Renners Schriften sind von sehr vielen Designern neu gezeichnet, für den digitalen Satz aufbereitet und herausgegeben worden. So gibt es auch von der Futura Display zahlreiche Varianten. Barbara Honner

Mit dieser Serie stellen wir Schriften vor, die Barbara Honner vor der Entsorgung gerettet und dem Tübinger Stadtmuseum übergeben hat.

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Erstellt:
12.01.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.01.2022, 01:00 Uhr

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