Schönes und Mahnendes im Gäu

Hinaus ins Grüne: Rundwanderung um Baisingen und Vollmaringen

Auf dieser besonderen Rundwanderung am westlichen Rand des Landkreises Tübingen kommen auch Geschichtsinteressierte voll auf ihre Kosten. Bei klarem Wetter bieten sich uns immer wieder herrliche Ausblicke.

22.11.2023

Hier ein Blick aufs wolkenverhangene Vollmaringen: Im bunten Herbst ist die Rundwanderung von Baisingen noch Vollmaringen besonders schön. Bilder: Arndt Spieth

Hier ein Blick aufs wolkenverhangene Vollmaringen: Im bunten Herbst ist die Rundwanderung von Baisingen noch Vollmaringen besonders schön. Bilder: Arndt Spieth

Der Startpunkt dieser Tour liegt im Ortszentrum von Baisingen, am Beginn der Kaiserstraße. Wir folgen dieser Straße durch den alten Dorfkern in westliche Richtung. Dabei passieren wir die katholische Pfarrkirche St. Anastasia und das schlichte Baisinger Schloss der Schenken von Stauffenberg. Die Kirche stammt aus dem 18. und 19. Jahrhundert und das Schloss mit Scheuer wurde 1820 erbaut.

Auf unserem Weg durch die Kaiserstraße erreichen wir bald das einstige jüdische Viertel, das alte „Ghetto“ mit der ehemaligen Synagoge im Judengässle, (siehe Ausschilderungen). Die 1784 erbaute Synagoge wurde in der Reichspogromnacht vor 85 Jahren am 10. November von der SA verwüstet und nach dem Krieg in eine Scheune verwandelt. Im Jahr 1988 wurde sie von der Gemeinde erworben und als Gedenkstätte mit Museum wiederhergestellt, wobei bewusst die Spuren der Zerstörung als Mahnung sichtbar gelassen wurden. Sie zählt zu den am besten erhaltenen Landsynagogen Deutschlands und ist sonntags von 14 – 16 Uhr geöffnet.

Baisingen und seine

Spuren jüdischen Lebens

Im reichsritterlichen Dorf Baisingen, erstmals im Jahr 1258 urkundlich erwähnt und seit 1696 im Besitz der Schenken von Stauffenberg, sind seit 1596 erste jüdischen Familien dokumentiert. Sie fanden in den reichsritterschaftlichen Gebieten Schutz, nachdem sie aus den Städten Vorderösterreichs und Württembergs vertrieben worden waren. Jede jüdische Familie war verpflichtet, jährlich Schutzgelder an die Schenken zu entrichten und die bürgerliche Gemeinde erhob dazu noch den „Judentaler“ zum Erhalt von Wegen und Brunnen. Wollte ein „Schutzjude“ Baisingen verlassen, musste er 10 Prozent seines Vermögens an die Ortsherrschaft entrichten.

Da Juden lange Zeit keinen Grund besitzen durften, bestritten die Bewohner des Judengässle ihren Lebensunterhalt lange Zeit hauptsächlich durch den Handel mit Vieh. Im 19. Jahrhundert verbesserte sich ihre rechtliche Situation stetig. Im Jahr 1843 gehörte fast ein Drittel der Bevölkerung von Baisingen der jüdischen Gemeinde an. Es gab nun eine israelitische Konfessionsschule und eine Mikwe (Kaiserstraße 104) sowie jüdische Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe entlang der Kaiserstraße. Das jüdische Gasthaus „Rose“ mit angeschlossener Brauerei war der soziale jüdische Mittelpunkt im Ort (Nr. 64). Die Gebäude in der Kaiserstraße 56-62 bildeten das „Judenhöfle“.

Im Jahr 1933 lebten immer noch etwa 90 Juden in Baisingen. Sie waren bald völlig entrechtet, und jene, die nicht emigrieren konnten, wurden in Vernichtungslager deportiert, so dass nur wenige das Kriegsende überlebten. Einer von ihnen, der Baisinger Jude Harry Kahn, kehrte nach langen Aufenthalten in Konzentrationslagern zurück und führte hier bis 1978 einen Viehhandel.

Schöne Aussichten

Wir wandern nun durch die Tannensteigstraße nach rechts und folgen am Waldrand dem Schotterweg mit einem wunderbaren Ausblicken nach links. Nach kurzer Zeit passieren wir den eingezäunten jüdischen Friedhof, der hier um 1778 am Galgenberg angelegt wurde. Kurz darauf kommen wir an der „Waldkapelle“ vorbei, die 1946 von der katholischen Bevölkerung als Dankeskapelle errichtet wurde. Wir setzen unsere Wanderung mit schöner Aussicht fort. Links sehen wir den langen Albtrauf, vor uns Vollmaringen mit seinem imposanten Kirchturm und rechts blitzen einzelne Schwarzwaldhöhen zwischen den Bäumen durch.

Über den Bondorfer Weg erreichen wir bald Vollmaringens neugotische St. Georgskirche, die sich mit ihren luftigen Gewölben im Inneren als Schmuckstück erweist. Wir gehen in gleicher Richtung weiter bis zur Schloßstraße und folgen ihr nach links hinunter bis zum Vollmaringer Schloss. Es entstand vermutlich im 13. Jahrhundert als Wasserburg und wurde im Laufe der Zeit mehrfach umgebaut und erweitert. Der Nordflügel fiel 1937 der Spitzhacke zum Opfer. Am Schloss schwenkt die Schloßstraße nach links. Wir folgen ihr und biegen am Ende in die Tannenstraße nach rechts ein. Diese wird bald zu einem Schotterweg, der uns über die Wiesen hinauf in den Wald führt. Unterwegs haben wir einen schönen Blick auf Vollmaringen. Im moosigen und dicht bewachsenen Wald mündet ein Weg von rechts ein, und nach weiteren 40 Metern auch einer von links. Wir folgen diesem leicht geschotterten Weg, der uns wieder hinunter nach Baisingen und in den Landkreis Tübingen bringt.

Wir durchqueren ein bewaldetes Trockental des verkarsteten Muschelkalks des Oberen Gäus und sehen ab dem Waldrand wieder den Kirchturm Baisingens. Nun geht’s auf dem gerade verlaufenden Rötenweg zurück in den Ort und dann über die Weberstraße hinauf in die Kaiserstraße. Wir halten uns rechts und kommen zurück zum Ausgangspunkt zurück. Arndt Spieth

Länge: 6,2 Kilometer

Gehzeit: 1,5 Stunden

Höhenunterschied: 49 Meter

ÖPNV: Buslinie 7633 von Rottenburg bis Haltestelle „Baisingen Göttelfinger Straße“

Einkehrmöglichkeiten:

Braustuben zum Löwen in Baisingen, Sportheim Möhrle in Vollmaringen (Öffnungszeiten siehe Homepage).

GPS-Track: https://out.ac/IP4tJe

Baisingen hat auch eine Waldkapelle.

Baisingen hat auch eine Waldkapelle.

Das Judengässle mit Synagoge in Baisingen.

Das Judengässle mit Synagoge in Baisingen.

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Erstellt:
22.11.2023, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 19sec
zuletzt aktualisiert: 22.11.2023, 01:00 Uhr

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