Ammeridyll mit Fernsichten

Hinaus ins Grüne: Wanderung durch die Tübinger Weststadt

Auf dieser vielfältigen Rundtour vor den Toren der Altstadt streifen wir durch schöne Wohnviertel in Tübingens Halbhöhenlagen und an der Ammer und entdecken dabei manche verborgene Schätze.

24.10.2018

Das ehemals Cotta’sche Gartenhäuschen an der Ammer.

Das ehemals Cotta’sche Gartenhäuschen an der Ammer.

Wir beginnen diese abwechslungsreiche Rundtour am Kelternplatz an der Einmündung der Schmiedtorstraße. Wir queren die Kelternstraße Richtung Norden. Nach der Kelternapotheke halten wir uns links und steigen die Stufen runter zur Ammer. Dieser verwunschene Uferpfad heißt Pfizerstraße und führt uns durch ein altes Gartengebiet, das hier am Südhang vor der Stadtmauer von Bürgern der Altstadt angelegt worden war. Die Gärten sind heute meist überbaut, aber es gibt noch einige historische Gartenhäuser.

Auf der anderen Uferseite sehen wir die Rückseiten der gründerzeitlichen Stadthäuser an der Kelternstraße. Am Ende des Weges gehen wir rechts hoch zur Belthlestraße und queren sie beim Erasmushaus, dem Zentrum der katholischen Hochschulgemeinde. Wir wandern weiter durch die Jesinger Straße und kommen in die Rappstraße, in der wir uns rechts halten. Oben queren wir die Herrenberger Straße. Auf der rechten Seite sehen wir den ehemaligen Brauereigasthof Marquardtei. Der Jugendstilbau von 1910 bildete den krönenden Abschluss für den ab 1890 gebauten Brauereikomplex „G. Marquardt“, der anfangs noch als „Tübinger Hofbräu“ firmierte. Links des Gasthofes befand sich früher ein großer Biergarten. Wir halten uns nun links, und kommen am selbstverwalteten Johann-Gottlieb-Fichte-Haus vorbei, das 1961-63 als anthroposophisches Studentenwohnheim errichtet wurde.

Nun geht es die Stöcklestraße bergauf. Weiter oben biegen wir rechts in den Otto-Erbe-Weg ein, der in einem Bogen hoch durch ein schönes Wohngebiet mit herrlichen Ausblicken auf die Weststadt und den Spitzberg führt. Das Weg geht in der Linkskurve in den Paul-Löffler-Weg über, dem wir folgen. Immer wieder bieten sich kurze, aber interessante Ausblicke auf die umliegenden Wohngebiete und die Tübinger Altstadt mit dem Schloss. An der zweiten Linkskurve folgen wir dem Fußweg nach rechts, der uns wieder hinunter ins Ammertal bringt. Der Treppenweg mit faszinierendem Weitblick erreicht schließlich die Friedrich-Dannenmann-Straße, in die wir nach rechts einbiegen.

Wir streifen nun durch ein Wohngebiet, das in den 1950er- und 1960er-Jahren mit Reihen- und Mehrfamilienhäusern bebaut wurde. Wie man sieht, wirkt auch hier der Geist des Wandels und die ursprüngliche Uniformiertheit der damaligen Planung weicht allmählich den kreativen Ideen neuer Eigentümer. Nach 150 Metern stehen wir vor der evangelischen Stephanuskirche. Das 1968 mit Kindergarten und Pfarrhaus nach Plänen von Otto Nussbaum fertiggestellte Gotteshaus mit rund 37 Meter hohem Turm ist heute das auffälligste Gebäude der Weststadt. Über das Äußere mag man streiten, einen Besuch wert ist auf jeden Fall der tagsüber meist geöffnete Kirchenraum. Durch das weit gespannte Dach ohne Stützpfeiler und die ringsum verlaufenden Lichtbänder entsteht der Eindruck eines leichten Zeltes, das sich über den Kirchenraum und den achteckigen Altarbereich im Süden erhebt. In der Architektur der Kirche kann man immer wieder bestimmte Zahlen und Farben entdecken, die bestimmten Symbolcharakter haben und nicht zufällig so angeordnet wurden.

Nach einer eventuellen Besichtigung wandern wir den Fußweg direkt unterhalb des Gemeindezentrums Richtung Westen weiter und steigen nach der Wendeplatte die Staffeln hoch zur Straße Im Buckenloh, wo wir uns links halten. Nach kurzer Zeit sehen wir das ganz aus Glas zu bestehen scheinende „Sonnen-Wendel-Haus“ (Nr. 19). Die Stadt wollte Anfang der 1980er-Jahre hier ein Solarhaus haben und der Architekt Prof. Peter Hüber entwarf mit dem Energiespezialisten Dipl. Ing. Uli Rink diesen 1984 fertiggestellten solartechnischen Pionierbau: Ein in den Hang eingegrabener Kernbau auf der Nordseite ist massiv und wärmegedämmt. Als „Sonnenfalle“ dient die als wintergartenartiger Glasbau ausgeführte 250 Quadratmeter große Südseite, die für den massiven Teil passive Sonnenenergie einfängt. Eine eigens ausgetüftelte Lüftungsanlage lenkt die Wärme in die rückwärtigen Räume und ein Frischluftkanal saugt von Norden her kühle Luft an.

Das Buckenloh mit seinen geschützten Südhängen gehörte im Mittelalter zu den besten Weinlagen Tübingens und hatte seit Anfang des 16. Jahrhunderts eine eigene Kelter, die 1948 abgebrannte „Arbeits-“ oder „Buckenlohkelter“. Wir gehen weiter, halten uns links und wandern nun durch die Straße ‚An der Arbeitskelter‘ bis zur Wendeplatte, steigen die Stäffele rechts runter und kommen in den Hagellocher Weg, dem wir bergab folgen. Unterhalb von uns sehen wir die modernen Gebäude des neuen Handwerkerparks. Energiesparende Bauweise, hohe Umweltstandards und nicht zuletzt die geschwungen halbrunden Dächer verleihen diesem Gewerbegebiet Modellcharakter.

Gegenüber einem schicken Kanzleigebäude biegen wir nach links in die Gösstraße ein. Rund 50 Meter vor den Gewächshäusern der Gärtnerei Bisinger halten wir uns rechts und kommen über eine Seitenstraße zu einer Unterführung, die uns auf die andere Seite der B296 bringt. Nun gehen wir ein kurzes Stück zwischen Gewerbehallen und dem Sportplatz der Aischbachschule. Vor der Brücke biegen wir nach links und folgen für längere Zeit der Ammer, die hier zum Teil noch recht naturnah über kleine Stromschnellen stadteinwärts strömt. Bald erreichen wir nach einer Unterführung einen Abschnitt der Ammer, der in den letzten Jahren aufwendig renaturiert wurde. Wir folgen der Uferpromenade flussabwärts und gelangen in das neu geschaffene Quartier am Fluss, eine wirkliche Bereicherung für Tübingen!

Früher befand sich hier die Baufirma Steinhilber und der Platz eignete sich durch die attraktive Uferlage ideal für eine Wohnbebauung. Es geht nun geradeaus auf einem geschotterten Uferweg weiter und wir kommen an einen zu Wohnzwecken umgebauten ehemaligen Transformatorenturm vorbei, der wie ein in die Höhe gezogenes Hausboot über dem rauschenden Fluss hängt. In der Rappstraße halten wir uns rechts, queren die Westbahnhofstraße und biegen schließlich links die Mauerstraße ein. Eher schmucklose, aber charmante Ein- und Mehrfamilienhäuser aus der Zeit um 1890 säumen die Straße. In der Altstadt angelangt, biegen wir in die Seelhausgasse nach links ein. Die Straße erinnert an das Seelhaus (Nr. 25), das 1512 als Unterkunft für arme Reisende und Pilger erbaut worden war. In der Straße ‚Am kleinen Ämmerle‘ halten wir uns rechts und streifen durch einen idyllischen Winkel, den Eugen Nägele um 1899 als „einen der hübschesten der vielen ländlichen Bilder in der unteren Stadt“ bezeichnete. Vom Ausgangspunkt Kelterplatz trennen uns hier nur noch wenige Schritte nach links. Arndt Spieth

Tourbeginn- und ende: Kreuzung Kelternstraße / Schmiedtorstraße

Bushaltestelle: Bürgeramt

Linien: 9, 11, 12, oder Stadtgraben mit zahlreichen Linien

Tourenlänge: 4,5 Kilometer

Höhenunterschiede: 90 Meter

Einkehrmöglichkeiten: Gastronomie in der Altstadt

Arndt Spieth ist Autor des Wanderführers „Kreuz und quer durch Tübingen“.

Die Tübinger Pfizerstraße. Bilder: Arndt Spieth

Die Tübinger Pfizerstraße. Bilder: Arndt Spieth

Neues Baugebiet im Westen – ehemalige Baufirma Steinhilber.

Neues Baugebiet im Westen – ehemalige Baufirma Steinhilber.

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Erstellt:
24.10.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 13sec
zuletzt aktualisiert: 24.10.2018, 01:00 Uhr

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