Die Natur inspiriert zum Graffiti

Johannes Blinkle sprayt auch für die Tübinger Stadtwerke

Der 33-jährige Tübinger Johannes Blinkle sprayt schon seit 20 Jahren Graffiti. Er liebt seit seiner Kindheit Schriften und Kunst. Sein Künstlername ist Looven.

19.08.2020

Graffiti-Künstler Johannes Blinkle vor seinem Schwan am Metropol-Parkhaus. Bild: Dennis Duddek

Graffiti-Künstler Johannes Blinkle vor seinem Schwan am Metropol-Parkhaus. Bild: Dennis Duddek

Wann haben Sie mit dem Sprayen begonnen?

Ich spraye seit circa 20 Jahren. Mit ungefähr 13 Jahren habe ich begonnen. Ich habe damals in der Stadt bereits das ein oder andere Graffiti gesehen und fand die Kunst sehr interessant. Richtig zum Graffiti kam ich dann durch meinen Cousin. Der ist fünf Jahre älter als ich und hat damals selbst auch gesprayt. Ich fand das sehr cool und habe mich dann kopfüber in die Kunst hineingestürzt und viel auf Papier gemalt.

Was ist der Reiz am Sprayen?

Ich liebe Schreiben und Zeichnen schon seit meiner frühen Kindheit. Früher war es zum Beispiel so, dass ich Schule zwar nicht wirklich gemocht habe, aber bereits in der ersten Klasse gerne gezeichnet und geschrieben habe. Damals hatten wir Schönschreiben im Unterricht und das fand ich klasse, dabei hatte ich total viel Spaß. Ich hatte also schon ziemlich früh eine Liebe zur Schrift und da ist der nächste Schritt dann das Graffiti, das Schrift und Kunst vereint.

Woher nehmen Sie Ihre Ideen?

Inspirationen hole ich mit vor allem aus dem Alltag. Ich höre sehr viel Musik, außerdem schaue ich mir andere Künstler an. Vor allem aber kommen meine Ideen aus der Natur. Die bietet so viele unterschiedliche und interessante Formen und Farben. Wenn ich zum Beispiel durch die Tübinger Platanenallee laufe, sehe ich sehr viele Bäume, aber ich sehe in ihnen mehr: Interessante Formen und Farben, und das finde ich schön und lass mich davon auch inspirieren.

Haben Sie ein Lieblingsmotiv?

Das ist sehr schwer zu sagen. Ich male immer unterschiedlich, je nachdem, wie meine Stimmung gerade ist. Ich male sehr oft sehr genau und sehr akkurat. In einer anderen Stimmung male ich auch mal sehr düster und spritze mit viel Farbe um mich. Ich würde sagen, durch meine Stimmungen habe ich sehr viele Stile, aber kein Lieblingsmotiv. Ich male das, worauf ich Lust habe.

Bei Aufträgen aber habe ich immer einen sehr starken Perfektionismus, daher kann es sehr lange dauern, bis ich mit einem Bild selber zufrieden bin, gerade bei fotorealistischen Bildern, wie der Schwan am Metropol-Parkhaus. Das sind schon anstrengende Aufträge für mich. Danach spraye ich dann meist sehr wild und frei. Grundsätzlich male ich aber bei Aufträgen sehr gerne Tiere, vor allem Vögel.

Wie fühlen Sie sich, wenn Sie lange an einem Graffito saßen und dann fertig sind?

Meistens bin ich danach erstmal unzufrieden. Aber ich glaube, so geht es vielen Künstlern. Ich sehe dann erstmal, was ich alles hätte besser und schöner machen können.

Manchmal gibt es auch Tage, wo es mir dann egal ist, aber meist bin ich doch zuerst unzufrieden. Ich möchte als Künstler, wie bestimmt auch viele andere, immer noch einen oben drauf setzen und das klappt eben nicht immer.

Wie entsteht ein Graffito?

Im klassischen Graffiti gibt es die Vorgehensweise, dass man zuerst die Buchstaben „vorzieht“, das heißt in der Fachsprache dann „First Lines“. Dann macht man den Hintergrund, also den „Background“ und dann kommt das Füllen der Buchstaben, das sogenannte „Fill In“.

Dieses Grundprinzip passt man aber bei jedem einzelnen Bild an. Wenn ich im Hintergrund zum Beispiel nicht eine volle Fläche haben will, sondern etwas wie Nebel, dann male ich den zuerst und dann male ich die Buchstaben aus, da sonst der Nebel auch auf den Buchstaben ist.

Ich persönlich fange meist mit dem Hintergrund an und fülle danach erst die Buchstaben aus, aber das ist, wie bereits gesagt, bei jedem Werk anders.

Wie stehen Sie zum Thema illegale Graffiti?

Ich mag sie und schaue sie mir gerne an. Wenn ich irgendwo entlang laufe und Graffiti sehe, dann sehe ich in jedem eine gewisse Kunst. Ich fahre deswegen auch sehr gerne Zug, vor allem auf Strecken, auf denen ich noch nie gefahren bin, denn auf so einer Strecke kann ich überall entlang der Gleise die unterschiedlichsten Graffiti sehen und bestaunen.

Aber ich verstehe auch, dass Menschen, die nichts in den Graffiti sehen, diese als störend empfinden. Ich persönlich finde eine bunte Wand aber immer schöner, als eine nur reine weiße Wand.

Was ist am illegalen Sprayen attraktiv?

Graffiti ist vor allem eine Kunst der Jugend und der jungen Erwachsenen. Die sind meist etwas rebellisch und illegal zu sprayen ist genau das, was rebellisch ist.

Ich glaube, viele reizt es einfach, etwas zu tun, was verboten ist: Also, an eine Wand zu sprayen, wo man nicht darf und etwas von sich zurück zu lassen, das erstmal so bestehen bleibt. Es ist einfach ein großer Nervenkitzel dabei.

Aber es gibt sehr viele verschiedene Motivationen, ich würde nicht sagen, dass man das auf ein oder zwei herunter brechen kann. Viele machen es bestimmt wegen der Kunst, weil sie dann eine graue Wand bunt machen können. Andere wiederum machen es wegen des Nervenkitzels und manche wahrscheinlich auch aus reinem Vandalismus. Mit Graffiti kann man gut provozieren, egal in welche Richtung.

Finden Sie, dass die Graffiti-Szene zu Recht kritisiert wird?

Meiner Meinung nach hat jeder etwas, das ihn aufregt. Viele Menschen suchen sich dafür die Graffiti aus, weil sie im öffentlichen Stadtbild sind. Der Ärger über Graffiti gehört aber auch irgendwie zu dieser Kunst dazu. Meiner Meinung nach ist nur illegales Graffiti richtiges, echtes Graffiti. Wenn ich irgendwo an legalen Stellen in Tübingen spraye, dann finde ich, dass dies nicht der ursprüngliche Gedanke des Graffiti ist. Das sieht natürlich jeder anders. Ich würde aber sagen, dass es andere, wesentlich größere Probleme in der Welt gibt, als eine angemalte Wand. Die sollten viel mehr im Fokus.

Gibt es genügend Angebote für das legale Sprayen in Tübingen?

Ich glaube, es gibt nie genug. Das ist in kleinen Städten leider nie der Fall. Ich bin aber sehr froh, dass es hier überhaupt Wände gibt, an denen man legal Sprayen kann. Wenn allerdings ein Spot in Tübingen wegfällt, wie zum Beispiel beim Westbahnhof, dann gibt es auf jeden Fall zu wenige Wände für die Kunst. Bei schönem Wetter wird sehr viel gemalt, da kann es sein, dass das eigene Bild bereits nach einer Stunde wieder übersprüht wird.

Wenn es mehr Spots zum legalen Sprayen gäbe, würde dann das illegale nachlassen?

Das glaube ich nicht. Das eine hat meiner Meinung nach mit dem anderen nichts zu tun. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. Diese Theorie wird sehr oft ausprobiert, klappt aber nicht, da es einfach etwas anderes ist.

Sie sprayen auch auf Auftrag?

In Tübingen habe ich unter anderem ein paar Aufträge für die Stadtwerke gemalt. An der Steinlachallee habe ich bereits viele verschiedene Tiere gemalt, wie zum Beispiel den Vogel hinterm Schulgebiet. Auch der Schwan am Metropol-Parkhaus ist von mir. Sonst male ich sehr viel für private Kunden, die sich zum Beispiel ihre Garage dadurch verschönern lassen.

Interview: Dennis Duddek

Wer ein privates Kunstwerk von Looven haben möchte, kann sich einfach so bei ihm melden: per mail an loovenart@gmail.com oder auch über Social Media, zum Beispiel Instagram.

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Erstellt:
19.08.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 40sec
zuletzt aktualisiert: 19.08.2020, 01:00 Uhr

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