Vergnügungssucht und Sehnsucht

Jontef stellt ihr neues Jubiläumsprogramm vor

Ihre Musik umfasst die ganze Welt der osteuropäischen Klezmermusik: Seit 32 Jahren schafft es die Tübinger Band Jontef, allein mit Sprache, Gesang und Mimik eine dichte Atmosphäre auf die Bühne zu zaubern.

12.01.2022

Wenn Michael Chaim Langer jiddisch singt oder Gedichte über die Liebe vorträgt, werden nicht nur Lippen bewegt. Dann wird geglotzt und gegiert, gefleht und gelacht und jedes Wort mit den Händen nachgezeichnet. Bild: Jürgen Spieß

Wenn Michael Chaim Langer jiddisch singt oder Gedichte über die Liebe vorträgt, werden nicht nur Lippen bewegt. Dann wird geglotzt und gegiert, gefleht und gelacht und jedes Wort mit den Händen nachgezeichnet. Bild: Jürgen Spieß

Wenn Michael Chaim Langer jiddisch singt oder Gedichte über die Liebe vorträgt, werden nicht nur Lippen bewegt. Dann wird geglotzt und gegiert, gefleht und gelacht und jedes Wort mit den Händen nachgezeichnet. So auch am 21. Januar im franz.K bei der Vorstellung des Jubiläumsprogramms von Jontef. Die Musiker werden zwar unter Klezmer geführt, sie generieren aber Klänge, die nicht mehr nur mit traditioneller jüdischer Hochzeitsmusik zu tun haben - wenn von dort auch weiterhin die Inspiration kommt. Das Quartett aus Tübingen erweitert Klezmer zu einer Kunstmusik, saugt Jazz, Klassik, Neue Musik auf, holt sich Anleihen von unterschiedlichen Stilen. Jontef setzt sich, improvisierend, über Festgefügtes hinweg, lässt ihre Stücke zu kleinen Hörspielen oder Klangreisen werden, in denen humorvolle Geschichten aneinandergereiht werden.

Zu hören sind da etwa die von Chaim Langer vorgetragenen Geschichten großer jüdischer Autoren wie Isaac Bashevis Singer, Adolfo Kaminsky oder Heinrich Heine, aber auch zahlreiche Anekdoten aus der Welt des jüdischen Humors oder das von Joachim Günther vertonte „Erinnerung an die Marie A.“ von Bertolt Brecht. Michael Chaim Langer (Gesang), Joachim Günther (Akkordeon, Klarinette), Wolfram Ströle (Geige, Gitarre) und Peter Falk (Kontrabass) versenken sich suchend in den Sound, tauchen tief und tiefer ein, kreieren schillernde Oberflächen, die die Zeit vergessen machen. Überhaupt Zeit: Jontefs Ausuferungen will davon nichts wissen. Stille, Pausieren, Anhalten spielt in ihrer Musik tragende Rollen. Und immer wieder kommen die vier Musiker auf das Thema Liebe zurück. Es durchzieht das Programm wie ein roter Faden.

Jontef, zu Deutsch „Festtag“, wurde 1988 als Trio am Landestheater Tübingen von dem in Israel geborenen Schauspieler und Sänger Michael Chaim Langer, dem Klarinettisten und Akkordeonisten Joachim Günther und dem Gitarristen und Geiger Wolfram Ströle gegründet. 1999 erweiterte sich das Trio zum Quartett, als der Bassist Peter Falk zur Band hinzustieß. Inzwischen gilt die Band als eine der authentischsten Vertreter der jüdischen Erzählkultur in Deutschland. Dabei umfasst ihre Musik die ganze Welt der osteuropäischen Klezmermusik, in der Wehmut und Ausgelassenheit diese unnachahmliche Verbindung eingeht, deren Charme sofort gefangen nimmt.

So kombinieren die Musiker von Jontef die Klezmer-Fiddle mit der Klarinette, die Strenge mit der Leichtigkeit, den Ernst mit der Unbeschwertheit. Und sie schaffen in ihrem zweistündigen Programm ein Wechselbad der Gefühlslagen, das von Vergnügungssucht über nachdenkliche Sehnsucht bis zu mehrdeutiger Larmoyanz reicht. Da gibt es herzzerreißende Balladen über die verlorene Liebe, da sind aber auch anspruchsvoll vertonte Texte der Großstadtdichterin Mascha Kaléko und des jüdischen Lyrikers Theodor Kramer zu hören. Und zuweilen frönen die vier Tübinger auch dem augenzwinkernden Humor.

Sei es, dass Langers Gesang sich unversehens zu einem Hörspiel entwickelt oder dass er mit theatralischen Gesten über aufbrausende Gefühle im 20. Jahrhundert singt und erzählt. Doch auch das ist bei Jontef von eher poetischer, leiser Natur. Jürgen Spieß

Jontef spielt am Freitag, 21. Januar, um 20 Uhr im Reutlinger franz.K.

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Erstellt:
12.01.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.01.2022, 01:00 Uhr

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