Büro im Museum

Karin Sander stellt in der Tübinger Kunsthalle aus

Ihre Werke atmen formal die Strenge des Minimalismus: Karin Sander präsentiert in der von Kunsthallen-Leiterin Nicole Fritz kuratierten Ausstellung skulpturale Selbstporträts und Gebrauchsbilder, die Spuren eines bestimmten Ortes fixieren. Erstmals gezeigt wird zudem die über 1500 Zeichnungen umfassende Werkreihe „Office Works“ (zu Deutsch: Büroarbeiten).

27.01.2021

Karin Sander lädt zur Auseinandersetzung mit der materiellen Bedingtheit einer Büro-Szenerie ein. Bilder: Michael Danner

Karin Sander lädt zur Auseinandersetzung mit der materiellen Bedingtheit einer Büro-Szenerie ein. Bilder: Michael Danner

Kugelschreiber, Büroklammern, und Heftklammern. Aufkleber, Locherpunkte und Strichzeichnungen: Karin Sander hat über die letzten vier Jahrzehnte einen ganz eigenen künstlerischen Standpunkt in der Tradition des Postminimalismus entwickelt.

So lässt sich ihre Schau in der Tübinger Kunsthalle von vielen Seiten betrachten: Da finden konzeptuelle Strenge und spielerische Ironie zusammen, da werden Grenzen aufgehoben und Vorstellungen umgekehrt. Sander arbeitet mit der Zustandsveränderung von Vorgefundenem, seien es Objekte oder Räume. Mit geringfügigen Eingriffen in die Situation legt sie deren materiellen Bedingungen offen, um eine minimale Differenz zwischen Alltäglichkeit und Kunst herbeizuführen. Das funktioniert nicht immer, erscheint aber immer authentisch.

Karin Sander studierte von 1979 bis 1987 an der Freien Kunstschule und an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart. 1989/1990 erhielt sie ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für New York, wo sie das International Study/Studio Program (ISP) des Whitney Museum of American Art besuchte. Nach weiteren Stipendien und Auszeichnungen erhielt sie 2015 den Rom-Preis der Deutschen Akademie Villa Massimo, Rom.

Unter anderem wurde die Künstlerin zu Gastprofessuren an die Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sowie am California Institute of the Arts, Los Angeles eingeladen. 1999 erhielt sie eine Professur an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee und seit 2007 hat sie einen Lehrstuhl für Architektur und Kunst an der ETH Zürich inne.

Karin Sander bezieht sich in ihren Arbeiten im weitesten Sinne auf Künstler wie Sol LeWitt und Donald Judd, die in den 1960er-Jahren zunächst in New York und Los Angeles, später auch in Europa, einen radikal neuen Werkbegriff entwickelten. In Abgrenzung zum Abstrakten Expressionismus warfen sie das romantisch geprägte Bild des Künstlers, der seiner Gefühlswelt Ausdruck verleihen möchte, über Bord und konzentrierten sich auf eine reduzierte geometrische Formensprache und auf sich selbst verweisende Werke.

Die Arbeit des Künstlers sollte in emotionaler Hinsicht nüchtern und trocken wirken und ohne einen „emotionalen Kick“ auskommen. Im Mittelpunkt dieser Minimal-Art-Pioniere stand nicht das Werk, sondern die Wahrnehmungsprozesse, die zwischen dem Publikum und den minimalistischen Objekten entstehen. Auf diese in der Vergangenheit nicht selten rigoros vorgetragenen Minimal-Strategien reagiert die 1957 in Bensberg geborene und heute in Berlin und Zürich lebende Künstlerin mit dem Infragestellen traditioneller Methoden und mit dem Aufbrechen der rigiden Haltung der Konzeptkunst der 1960er-Jahre.

Mit seismografischem Gespür reagiert sie auf alltägliche, architektonische, institutionelle oder gesellschaftliche Gegebenheiten und verändert diese mit subtilen Eingriffen. So poliert sie zum Beispiel Bilder in die Wand hinein, indem sie die Quadratur der konventionellen Platzierung an der Wand zu einem Spiegel der Umgebung macht. Oder sie bricht die Symbolik der Darstellung eines Objekts im musealen Raum, wie beispielsweise mit der Serie der „kitchen pieces“.

„Karin Sander ist als Künstlerin grundsätzlich an der Poesie der Latenz interessiert, die in den vorhandenen Dingen liegt. Oder anders gesagt: Sie setzt den geläufigen Wirklichkeitsbehauptungen eine alternative Wirklichkeit entgegen“, so der bekannte Soziologe und Publizist Harald Welzer.Jürgen Spieß

Die Ausstellung von Karin Sander läuft vom 27. März bis 4. Juli in der Kunsthalle Tübingen.

Minimalistisches Spiel mit Symbolik und Formhaftigkeit.

Minimalistisches Spiel mit Symbolik und Formhaftigkeit.

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Erstellt:
27.01.2021, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 27.01.2021, 01:00 Uhr

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