Senioren brauchen nicht nur Sensoren

Mone Spindler denkt über Alternativen zu technischen Hilfsmitteln nach

Mone Spindler hinterfragt den Nutzen technischer Hilfsmittel für ältere Menschen. Wir sprachen mit der 43-jährigen Sozialwissenschaftlerin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen über Alternativen zu Pflegerobotern und Smart Home.

27.02.2019

Mone Spindler thematisiert die Ethik der Technik. Privatbild

Mone Spindler thematisiert die Ethik der Technik. Privatbild

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Welche Priorität sollte die Entwicklung neuer Techniken für ältere Menschen haben?

Mone Spindler: In unserer auf Hightech fokussierten Gesellschaft wird technischen Entwicklungen als Reaktion auf die demographische Entwicklung sehr hohe Priorität eingeräumt. Die Robotik wird als Lösung für den akuten Pflegenotstand diskutiert und gerne als alternativlos dargestellt. Die Argumentation mit Sachzwängen ist jedoch kritisch zu hinterfragen. Genauso wie das Versprechen, dass Technik den älteren Menschen mehr Emanzipation ermöglicht, die Effizienz der Pflege steigert und Impulse für das wirtschaftliche Wachstum setzt. Unsere Vorstellung von dem, was Technik für Senioren leisten kann, eilt den Möglichkeiten weit voraus. Deshalb müssen wir ausloten, welche Innovationen älteren Menschen wirklich helfen und dabei auch Lösungen jenseits der Technik im Blick haben – etwa die Aufwertung der Pflegearbeit oder sinnvolle Beschäftigungsangebote für Menschen mit Demenz. Das eigentliche Problem ist, dass die humanistische Pflegetheorie mit der stark ökonomisierten Praxis nicht zusammenpasst. Die Idee, dass neue Techniken zwischen beiden vermitteln können, geht häufig nicht auf.

Welche ethischen Fragen stellen sich vor dem Hintergrund der Digitalisierung und Technisierung im Umfeld
von Senioren?

Technik ist an sich weder gut noch schlecht. Man muss jede einzelne Technik in der Praxis anschauen und nicht nur den Nutzungsszenarien der Entwickler folgen. Dabei stellt sich die Frage, welches Wertesystem und Menschenbild hinter der Vorstellung steht, dass diese Technik die Lebensqualität älterer Menschen verbessern könne. Werden Senioren auf ihre Defizite reduziert? Hilft die Technik wirklich den älteren Menschen oder eher ihren Angehörigen und den Pflegenden? Verletzt sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung? Wie nachhaltig ist sie? Kommt es aufgrund ihrer Nutzung zur Verschiebung von Verantwortlichkeiten und zur Veränderung von Fürsorge? Sind die Techniken nur Besserverdienenden zugänglich? Wofür könnte man die Kosten für neue Techniken alternativ ausgeben?

Können Sie die ethischen Probleme technischer Innovationen für Senioren an einem konkreten Beispiel transparent machen?

In der Demenzpflege werden zum Beispiel selektive Türschließtechniken eingesetzt. Schwer dementen Patienten mit „Hinlauftendenz“ werden – mit richterlicher Genehmigung – Transponderarmbänder angelegt, die als Uhr getarnt sind und die sie selbst nicht ablegen können. Wenn sie sich der Außentüre der Einrichtung nähern, erkennt deren Schließmechanismus den Transponder. Die Türklinke lässt sich zwar betätigen, die Türe jedoch nicht öffnen. So soll verhindert werden, dass die Bewohner die Einrichtung unbemerkt verlassen und sich und andere draußen gefährden.

Aus ethischer Sicht fällt zunächst auf, dass es in der Praxis für die Einrichtungen schwierig und sehr zeitaufwendig ist, diese einfache Technik im Alltag am Funktionieren zu halten. Sie ermöglicht den Heimen allerdings eine lukrativere Bettenbelegung, weil sie mehr schwere Fälle aufnehmen können. Die Einrichtungen begründen den Einsatz dieser Technik mit der Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen und verweisen darauf, dass diese Patienten sonst mit Medikamenten ruhiggestellt oder fixiert werden müssten. Andere Alternativen – zum Beispiel regelmäßige Ausgänge zu ermöglichen, wozu sich die gleiche Technik auch nutzen ließe – sind für viele Einrichtungen nicht einmal mehr denkbar. Die Betroffenen erleben die Türen, die sich nicht öffnen lassen und die Einrichtung, die sich nicht verlassen lässt, aber mitunter als irritierenden oder auch schmerzhaften Freiheitsentzug. Sie rütteln dann möglicherweise so lange an der Klinke, bis sie kaputt ist. Und wenn sie das Gebäude dennoch verlassen – was trotz der Technik ganz regelmäßig vorkommt –, wird die Verantwortung dafür gerne auf die Technik abgewälzt.

Geht der technische Fortschritt auf dem Gebiet
des Smart Home und der Altenpflege auf Kosten menschlicher Fürsorge?

Menschliche und technische Fürsorge lassen sich nicht immer exakt voneinander trennen. Auch muss menschliche Zuwendung nicht immer besser sein als technische Hilfe. Das wird etwa in einem schambesetzten Bereich wie der Körper- und Intimpflege deutlich. Doch der Wunsch, dass Pflegekräften dank Technik mehr Zeit zur Verfügung steht, die dann ihren Patienten zugute kommt, entspricht meist nicht der Realität.Fragen von Stefan Zibulla

Am Freitag, 1. März, diskutiert Mone Spindler zusammen mit Dora Ballbach vom Tübinger Stadtseniorenrat sowie der Senioren-Technik-Begleiterin Brigitte Bauermeister-Nitschke und Gerhard Eschweiler (Leiter des Geriatrischen Zentrums an der Uniklinik Tübingen) um 17 Uhr im Tübinger Lebensphasenhaus (Rosenau 9) über das Thema „Pro und Contra neuartige technische Unterstützung bei älteren Menschen“.

Das Podiumsgespräch wird von TAGBLATT-Mitarbeiter Stefan Zibulla moderiert.

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Erstellt:
27.02.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2019, 01:00 Uhr

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