Höheren Dienstgrad

Tübingens Oberbürgermeister Ernst Weinmann war ein Nationalsozialist der ersten Stunde

Am 22. Dezember 1946 verurteilte das Militärgericht in Belgrad den Zahnarzt und Tübinger Oberbürgermeister Dr. Ernst Weinmann zum Tod durch Erhängen. Am 20. Januar 1947 wurde das Urteil vollstreckt.

20.01.2016

Tübingens Oberbürgermeister Ernst Weinmann war ein Nationalsozialist der ersten Stunde

Ernst Weinmann war in der Nähe von Rottenburg aufgewachsen und zum Medizinstudium nach Tübingen gekommen. Im Alter von 20 Jahren trat er 1927 der NSDAP bei und wurde Mitglied der SA – ein „Mann der ersten Stunde“, der sich in Rottweil und Tübingen am Aufbau der Partei beteiligte. Bis 1930 akquirierte er über 50 neue Mitglieder und wurde schließlich vom aktiven Parteidienst beurlaubt, um sein Studium beenden zu können.

Es folgte eine rasante Parteikarriere: Der junge Weinmann war stellvertretender Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat. Außerdem gehörte er dem Führerrat der Universität an und war vorsitzender Ehrenrichter im Ehrenrat. 1938 trat er zur SS über und übernahm den Vorsitz der Tübinger Außenstelle des Sicherheitsdienstes.

Als 1939 Adolf Scheef pensioniert wurde und der Reichsstatthalter den 32 Jahre alten Ernst Weinmann zum Oberbürgermeister ernannte, gehörte der schon zur „alten Garde“ der Nationalsozialisten.

Am 18. April 1941 wurde Weinmann in Belgrad als „Umsiedlungskommissar“ mit den Befugnissen eines Ministers eingesetzt. Als Verbindungsoffizier zu den deutschen „Militärbefehlshabern Serbien“ gehörte er jetzt zum Führungsstab der Einsatztruppe der Sicherheitspolizei und des SD.

Viel hat Tübingen von ihrem jüngsten Oberbürgermeister aller Zeiten nicht gehabt – von den fast sechs Jahren seiner Amtszeit verbrachte Weinmann allenfalls 14 Monate im Tübinger Rathaus. Trotzdem wurde er 1939 für zwölf Jahre im Voraus in seinem Amt bestätigt. 1942 machte das württembergische Innenministerium den Versuch, Weinmann wieder zurück nach Tübingen zu holen. Der sagte ab: Er wolle, anstatt seinen Pflichten als Oberbürgermeister nachzukommen, lieber „noch eine Auszeichnung und einen höheren Dienstgrad erlangen.“

Am 25. März 1941 war Jugoslawien dem von Japan, Deutschland und Italien begründeten Dreimächtepakt beigetreten, zwei Tage später putschte das Militär gegen den Kronrat. Die Bevölkerung unterstützte begeistert diesen Staatstreich – woraufhin Deutschland ohne Ultimatum und ohne Kriegserklärung Bomben über Belgrad abwarf und am 14. April die serbische Hauptstadt besetzte. Eine Woche später musste die serbische Armee kapitulieren.

Weinmanns Hauptaufgabe bestand in der Organisation einer wahren Völkerwanderung: Für die „Germanisierung Nordsloweniens“ sollten 260 000 Slowenen aus der Krain und der Untersteiermark nach Serbien deportiert werden. Die Vorbereitungen für deren Aufnahme oblag dem ehemaligen Zahnarzt bis 1945. Gleichzeitig mussten Deutsche aus Bessarabien (dem heutigen westlichen Teil Moldawiens) ihr bisheriges Zuhause aufgeben, sie wurden in ein Durchgangslager nach Belgrad gebracht. Innerhalb von vier Jahren wurden so Hunderttausende von Menschen ihrer Heimat beraubt und mit 50 Kilo Gepäck dahin geschickt, wo sie nach Meinung der Nationalsozialisten eher hingehörten.

Im Oktober 1941 beschloss man, in Serbien alle Kommunisten, Juden und demokratisch und nationalistisch gesinnten Einwohner als Geiseln zu nehmen und gegebenfalls „zur Vergeltung“ zu töten. Nachdem am 18. Oktober 1941 bei einem Partisanenüberfall 21 deutsche Soldaten getötet wurden, erschossen Wehrmachtsangehörige 2100 Juden. Das war der Beginn einer erbarmungslosen Vernichtungspolitik.

Diese Aufgabe wurde erfolgreich und mit deutscher Gründlichkeit bewältigt: Ende 1941 gab es in ganz Serbien keinen männlichen Juden mehr. Nachdem etwa 20 000 jüdische Frauen, Kinder und Alte mit einem Lastwagen, bei dem die Auspuffgase nach innen geleitet werden konnten, umgebracht worden waren, galt Serbien als ein vollständig judenfreies Land. Weinmann zählte zum inneren Kreis bestens informierter Männer, der all diese Gräueltaten billigte und veranlasste. 1944 kehrte Weinmann nach Tübingen zurück, wo er zum SS-Obersturmbannführer befördert wurde.

Am 17. April 1945 verließ er wiederum das Rathaus, angeblich, „um sich zur kämpfenden Truppe zu begeben.“ Stattdessen flüchtete er mit Parteigenossen ins Allgäu, stellte sich aber dann den Franzosen, wurde verhaftet, in einem Reutlinger Lager interniert und schließlich nach Jugoslawien ausgeliefert. Andrea Bachmann

Literaturhinweis:

Aufsatz von Hans-Joachim Lang in dem Katalog „Vorbei und Vergessen - Nationalsozalismus in Tübingen“, Tübingen 1996.

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Erstellt:
20.01.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 20.01.2016, 01:00 Uhr

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