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Tübinger Typografien: Vermächtnisse der Stadt

06.02.2019

Tübinger Typografien: Vermächtnisse der Stadt

Gestaltungselemente im öffentlichen Raum unterliegen strengen Vorschriften. „Die für das Altstadtbild charakteristischen (. . .) Merkmale“, heißt es in der Stadtbildsatzung, „dürfen nicht beseitigt werden. An Gebäuden, an denen diese Merkmale in der Vergangenheit abhanden kamen, sind sie bei baulichen Vorhaben durch Einhaltung dieser Satzung wieder herzustellen.“ Stadtschriften sind nicht mitgemeint. Trotzdem sind einige glücklicherweise erhalten geblieben, wie diese Beispiele zeigen.

Bei der noblen Aufschrift von Friedrich Baur am Marktplatz entdecken wir auf einem mittelalterlichen Patrizierhaus ein schönes Stadtschriftvermächtnis in der Fetten Gotischen. Das Haus befand sich seit 1714 im Besitz der Kaufmannsfamilie Baur, die zuletzt ein Kolonialwarengeschäft betrieben hatte.

Die Buchstaben der ehemaligen Pietzckerschen Buchhandlung, die 2004 ihre Pforten schloss, gehören zum wundervollsten, was Tübingen an Stadtschrift besitzt. Das Schriftbild erinnert an die schmalen Art-Déco-Schriften der 1920-Jahre mit ihren dünnen Strichstärken und aufstrebenden Oberlängen. Von der Ferne betrachtet, sehen die Lettern aus wie mit dem Pinsel aufgetragen. Sie sind aber einzeln mit langen Eisenverstrebungen angebracht und ragen weit in den Raum.

In einem verputzten Fachwerkbau aus dem 16. Jahrhundert am Faulen Eck eröffnete 1927 die Familie Beutelspacher ein Geschäft für Tischdecken, Wäsche, Gobelins und Spitzeneinsätze für Unterröcke, die in den 1920er-Jahren der letzte Schrei waren. 1992 schloss auch die Nachfolgerin der Beutelspachers die Ladentür für immer. Die Aufschrift blieb. Noch immer erscheint groß, grün und deutlich eine beliebte Reklameschrift der 1950er- und 1960er-Jahre über den Schaufenstern. Wie beim Pietzcker bewertet das Landesamt für Denkmalpflege auch hier den „über dem Eingang angebrachte(n) Schriftzug“ als erhaltenswert!

In der Marktgasse / Ecke zur Kornhausstraße erinnert die Frakturaufschrift Julius Klein an ein einstiges Stoff- und Aussteuer-Fachgeschäft. Von 1884 bis 1978 befand sich dieses Haus, das charakteristisch für die Wohnkultur der wohlhabenden bürgerlichen Schicht Tübingens war, im Familienbesitz. Der 1885 geborene Einzelhändler Julius Klein, leidenschaftlicher Sänger und Inhaber der Bürgermedaille der Stadt, engagierte sich noch mit 77 Jahren für die bürgerschaftlichen und touristischen Belange Tübingens im Bürger- und Verkehrsverein. Er starb 1968.

Text und Bilder: Barbara Honner

Unter dem Titel „Altstadtschriften. Tübinger Typografien“ hat Barbara Honner 2017 beim Bürger- und Verkehrsverein eine umfassende und reich bebilderte Studie veröffentlicht.

Tübinger Typografien: Vermächtnisse der Stadt
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06.02.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 06.02.2019, 01:00 Uhr

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