Schlaufon am Ohr

Uta-Maria Heim deutscht Fremdwörter ein

Mit „Heimstadt muss sterben“ hat Uta-Maria Heim den schwäbischen Gesellschaftsroman vorgelegt: boshaft, knitz, ironisch und ein bisschen verquast. Ein Lesevergnügen, das für die Schwarzwälder Autorin auch ein Schreibvergnügen war.

10.02.2016

Uta-Maria Heim deutscht Fremdwörter ein

TAGBLATT ANZEIGER:„Ich komme nicht mehr mit“, sagt Grafs Freundin Marianne angesichts der zunehmend labyrinthischen Verwicklungen, in die Graf gerät und spricht damit der Leserin aus der Seele. Macht es Ihnen Spaß, Ihre Leser auf falsche Fährten zu schicken?

Heim: Wenn ich schreibe, denke ich nie darüber nach, wie etwas wirkt, sondern schreibe zu meiner eigenen Unterhaltung. Dieses Buch war ein bisschen wie ein Hefeteig, den man ansetzt und gehen lässt und dann wird immer mehr draus. Aber ich will niemanden verwirren. Jedenfalls nicht mit Absicht.

Sie deutschen Fremdwörter ein und machen aus dem Handy ein Schlaufon, Sie gehen virtuos mit dem Schwäbischen um und manchmal scheinen Sie einer Schwäche für Kraftausdrücke nicht widerstehen zu können.

Was die Sprach-Neubildungen angeht: Ich rede so und meine Freunde auch. Und bei den alten Wendungen aus dem schwäbisch-alemannischen Sprachraum, wo ich auch herkomme: Das ist nichts, was ich aus dem Museum hole. Viele Ausdrücke sind nicht von mir, ich erfinde nichts im stillen Kämmerlein, sondern beziehe diesen Sprachstil aus verschiedenen Quellen. Kraftausdrücke sind da oft sehr liebevoll und die Sprache ist so reich an differenzierten Schimpfwörtern und Spottnamen. Das beliebige und beliebte Wort „Arschloch“ habe ich bewusst vermieden.

Im Roman spielen Sie mit Wahrscheinlichkeiten, alles wird immer wieder in Frage gestellt. „Hütet euch vor der Verbrüderung mit der Realität“ sagt einmal eine der Figuren. Ist das eine Art „Heimstadt“-Poetik?

Ja, die wird gleich mitgeliefert! Der Satz stammt von dem Schweizer Schriftsteller Markus Werner, einem meiner Lieblingsautoren. Es ist nicht die Aufgabe der Literatur, Realität abzubilden. Im Gegenteil, Literatur kämpft – wieder Werner – gegen die „Bekräftigung des Bestehenden“. Es geht darum, eigene Welten zu erschaffen. Wer sich für die Wirklichkeit interessiert, sollte Sachbücher lesen.

Sie schreiben einen Regionalkrimi, der keiner ist und einen Heimatroman, der keiner ist . . .

Denken Sie etwa, „Heimstadt“ sei ein Regionalkrimi? Ob das Buch in diese Schublade passt, würde ich bezweifeln. Das Problem ist, in Deutschland trennt man sehr genau zwischen E- und U-Literatur, wie in der Musik. Ich sitze dazwischen. Direkt im Loch. Ich mag solche Grenzüberschreitungen und weil ich mir das leisten kann, mache ich das. Ich bediene niemanden. Das ist eine große Freiheit.

Und Ihren Figuren passieren die unglaublichsten Dinge .

Man glaubt ja nicht, was einem im Alltag so alles passiert! Ich liebe Missgeschicke. Nicht richtig Tritt fassen, gauklermäßig unterwegs sein, nicht tauglich sein – das ist ganz wunderbar. Es gibt nichts Furchtbareres als dieses eingetaktete Funktionieren. So will ich nicht sein und so will ich auch meine Figuren nicht.

Hin und wieder blitzt neben all der Ironie auch echte Empörung auf, zum Beispiel, wenn Sie über die Waffenindustrie schreiben. Wie gelingt Ihnen diese Gratwanderung zwischen Witz und Wut?

Mein eigentliches Thema ist nicht die Waffenindustrie – mir geht es darum, wie sich die Bewohner einer Kleinstadt zu den Konflikten in ihrer Umgebung verhalten. Da geht es mir dann so ähnlich wie dem Hasler, meiner Lieblingsfigur, dem besten Freund von Graf. Er pflegt eine gewisse gehässige Großzügigkeit den Verhältnissen gegenüber. Der ist völlig unmöglich und muss immer provozieren, was ich so selber niemals täte, aber ich lasse ihn machen, denn gleichzeitig ist er sehr großzügig und ein wirklich guter Mensch. Auf den ersten Blick ist dem nichts heilig. Ich habe schon ein paar Grenzen, die ich nicht überschreite: Ich könnte es niemals gutheißen, wenn z.B. rechtes Gedankengut positiv beschrieben wird. Aber mit zu viel Ernsthaftigkeit vergeigt man sich auch viel. Man muss nicht über alles lachen, aber man darf schon mal etwas in der Schwebe halten. Mal einen leichteren Beitrag zu liefern, ist sicherlich kein Fehler.

Tübingen und Heimstadt sind in Ihrem Roman eigentlich utopische Orte, trotzdem spielt Heimat eine große Rolle.

Heimat ist das Innerste, das steht nicht zur Disposition. Graf sagt einmal: „In meiner Heimat muss ich mich mit niemanden verstehen.“ Da ist tiefer Frieden. Die Abwesenheit von Heimat ist das Bedrohlichste, was einem Menschen passieren kann. Dabei muss Heimat kein Ort sein. Manche Menschen finden Heimat in der Musik oder im Fußball und für ein Zirkuskind ist die Heimat der Zirkus und nicht Mönchengladbach. Für mich ist Heimat der Berg, auf den ich eine Kindheit und Jugend lang geschaut habe. Ich war viel und weit weg und jetzt lebe ich seit zehn Jahren wieder im Schwarzwald und habe gemerkt, dass ich dort gerne bin und dort bleiben will. Aber man muss die Heimat deswegen nicht mit Weihwasser beträufeln.

Fragen von Andrea Bachmann

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Erstellt:
10.02.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 23sec
zuletzt aktualisiert: 10.02.2016, 01:00 Uhr

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