Ein bleibender Klotz

Vor 33 Jahren wurde das Nonnenhaus eröffnet

23.11.2016

Vor 33 Jahren wurde das Nonnenhaus eröffnet

Fanfaren. Luftballons. Clowns. Kaffee, Kuchen, Glühwein. Eine Stadt voller roter Herzen. Am Donnerstag, dem 24. November 1983 stand Tübingen Kopf: Der „Markt am Nonnenhaus“ öffnete zum ersten Mal seine Pforten, 38 neue Geschäfte warteten auf Kundschaft und Tübingen war um eine Sensation reicher.

Wer heute im „Nonnenmarkt“ einkauft, kann sich kaum vorstellen, dass das Einkaufszentrum einmal für noch nie da gewesene, urbane Eleganz in Tübingen stand – und dass dem Bau dieses pragmatischen Stücks Tübinger Alltag ein jahrzehntelanger Streit vorausging, bei dem eine skurrile und typische Tübinger Mischung aus Kaufleuten, Kommunisten und einer Bürgerinitiative den Bau dieses Gemeinschaftswarenhauses mit so ziemlich allen Mitteln zu verhindern versuchte.

Unliebsame Konkurrenz

Im Dezember 1972 stellte die Stadtverwaltung das größte Sanierungsgebiet der Tübinger vor. In den nächsten fünf Jahren reiften Pläne heran, an der Hinteren Grabenstraße ein Kaufhaus mit Parkhaus zu bauen. Dabei erachtete man ein Gemeinschaftswarenhaus mit vielen kleinen Einzelhandelsgeschäften für viel versprechender als ein Konzernkaufhaus.

Das sahen vor allem die Tübinger Einzelhändler anders: Während ein Hertie vielleicht noch kauflustiges Volk in die Altstadt gezogen hätte, sahen sie in einem Einkaufszentrum mit lauter Einzelhändlern nur eine unliebsame Konkurrenz. Über 100 Tübinger Kaufleute legten bei der Stadt Protest gegen den Konsumtempel ein.

Währenddessen plante man weiter: Drei Ebenen wollte man, ein Basement, in dem ein Supermarkt Einzug halten sollte, dann ein Geschoss auf der Höhe des historischen Nonnenhauses und eines zum Stadtgraben. Hier sollte ein größeres Textilgeschäft Platz finden. Auf dem Dachgeschoss wünschte man sich etwa ein Dutzend atelierartige Wohnungen. Im Juli 1978 gründete sich eine Bürgerinitiative gegen das geplante Bauvorhaben, das jedoch im Dezember vom Gemeinderat beschlossen wurde.

Erfolgloser Protest

Als im April 1980 noch immer kein Bauantrag für das neue Einkaufszentrum eingegangen war, begannen Diskussionen und Protest von neuem: Ein Warenhaus brauche kein Mensch, die geplanten Maisonettewohnungen seien zu teuer, es gäbe nicht genügend Parkplätze und das, was bisher geplant worden sei, sei von nicht zu überbietender architektonischer Hässlich- und Einfallslosigkeit. Nach heftigen und emotionalen Debatten stimmten am 2. Juni 1980 um 22.30 Uhr 35 Gemeinderäte für das Projekt, zwölf waren dagegen.

Während der Münchner Architekt Prof. Fred Angerer mit dem Planentwurf beauftragt wurde, versuchte die Bürgerinitiative noch mit einer Unterschriftenaktion ein Bürgerbegehren zu erwirken. 8191 Bürgerinnen und Bürger schlossen sich dieser Aktion an und im Februar 1981 wurde überlegt, ein Moratorium zu erwirken, um die Treuhandgesellschaft dazu zu bringen, enger mit der Bürgerinitiative zusammen zu arbeiten. Die bestand aber mittlerweile auf der Einhaltung der Verträge und im April 1981 wies der Gemeinderat das Bürgerbegehren als unzulässig zurück.

Im April 1982 wurde es ernst: Ein paar Häuser am Stadtgraben fielen der Abrissbirne zum Opfer und Ende des Jahres war bereits der Rohbau fertig. Das war ein hochkompliziertes Unterfangen: Weil der Boden im Ammertal erst in einer Tiefe von 212 Metern wirklich tragfähig ist, wurden 230 großvolumige Rohre in die Erde getrieben – wie die Jakobuskirche und die alte Silcherschule ist auch der Markt am Nonnenhaus ein Pfahlgründungsbau.

Ein dreckiger Sommer

Nicht nur der betriebene Aufwand war enorm – Lärm und Dreck waren es auch und die Anwohner hatten im Sommer 1982 einiges auszuhalten. Das Öffnen von Fenstern verbot sich während des kompletten Sommers und dass die knappen Baufristen Arbeitszeiten bis 23 Uhr nötig machten, verstimmte die Anwohner zusätzlich: „Ich kann mich nur noch vor den Bagger werfen“, seufzte eine geplagte Nachbarin.

Im Juni 1983 war das Parkhaus fertig und im Einkaufszentrum feierte man Richtfest. Im Juli konnte das umstrittene Wunderwerk erstmals der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die komplizierte Gebäudekonstruktion erhielt viel Lob: die optischen Details wie die mittlerweile wieder verschwundenen Arkaden zum Ammerkanal, die Dachgauben der Wohnhäuser oder die offene Außentreppe am Nonnenhaus machten das Bemühen der Architekten augenfällig, das Gebäude an die mittelalterliche Umgebung anzupassen. Wer sich das Ganze jedoch kleinteiliger gewünscht hatte, merkte an: „Ein Klotz bleibt ein Klotz!“ Andrea Bachmann

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Erstellt:
23.11.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 23.11.2016, 01:00 Uhr

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